Der Friedhof der Unbekannten

“Wir sind an einem sonderbaren Ort. An der Hauptstrasse sind wir in einen unscheinbaren Feldweg eingebogen und stehen nun, inmitten alter Olivenbäume, vor einem verrosteten Tor. Hier soll er sein, der Friedhof der unbekannten? Das Tor lässt sich ohne Mühe öffnen. Mit unbestimmtem Gefühl betreten wir das Gelände. Der Feldweg führt durch verdorrte Sträucher und Disteln weiter. Neben dem Weg liegen verbrannte Äste aufgehäuft. Ein alter Wohnwagen ist vor einiger Zeit zwischen zwei uralten Olivenbäumen platziert worden. Neu scheint hier nichts zu sein, ausser den Erdhaufen, die auf der freien Fläche vor nicht allzu langer Zeit aufgeschüttet wurden. In gleichmässigen Abständen liegen sie da und man erkennt die form dessen, das sie bedecken. Auf weissen Marmorplatten steht das Wenige aufgeschrieben das man von den Toten wusste, etwa: ANTROZ AGNOSTOS, 23 ETON, MYTILINI 2.3.2016. Ein unbekannter Mann liegt hier begraben, er wurde geschätzte 23 Jahre alt. Die Leiche ist am 2. April 2016 in Mytilini gefunden worden. Das 7 jährige Mädchen im anderen Grab ist im November 2015 gestorben. Daneben liegt ein 26 Jähriger begraben, der offenbar seine Papiere auf sich trug und als Omar Mohamed (Namen geändert) identifiziert werden konnte.

Anders als bei einem gewöhnlichen Friedhof gleichen sich die Geschichten derer, die hier begraben liegen. Aus dem was uns auf dieser Insel erzählt wurden, können wir uns die Geschichte von Omar Mohamed ausmalen. Er ist möglicherweise aus Syrien geflohen, weil in Aleppo die Bomben fielen und die Schiessereien auch nachts nicht aufhören wollten. In der Türkeit arbeitete er 12 Stunden am Tag zur Hälfte des regulären Lohnes, bis er die teure Überfahrt nach Europa bezahlen konnte. Der Schlepper fragte ob jemand aus der Gruppe wisse wie ein Bootsmotor zu bedienen sei. Mohamed Omar wusste es ebenso wenig wie die Anderen , hielt aber nach kurzer Diskussion das Steuer in der hand. Einfach gerade aus fahren, hörte er noch sagen. Nach einer halben Stunde machte der Motor komische Geräusche.

Die Leiche von Mohamed Omar wurde nach zwei Tagen von freiwilligen Helfern in Lesbos geborgen. Nach muslimischer Tradition wurde sie in weisse Tücher gewickelt. Einige Helfer huben eine Grube aus und legten den Toten mit den Füssen Richtug Mekka in sein Grab.

Auf dem Friedhof der Unbekannten sind dies die Geschichten, die wir zwischen Disteln und verrosteten Blechdosen schreien hören. Und es sind ähnliche Geschichten, die verzweifelt und stumm vergessen bleiben.”

Die MJKS (mennonitische Jugendkomission) organisierte zusammen mit dem TFFG und CPT (christian peacemaker teams) ein Camp für junge Erwachsene auf Lesvos. Vor Ort begegnete die Gruppe der Flüchtlingskrise in verschiedenen Arbeitseinsätzen un Exkursionen. Bei der Mithilfe im alternativen Flüchtlingscamp PIKPA, bei einem Schwimmunterricht für Flüchtlingskinder (“Versöhnung mit dem Meer”) oder dabei, ein Spendenlager aufzuräumen. Für die Gruppe beeindruckend waren auch die Nachtwachen zusammen mit einer Gruppe spanischer Feuerwehrleute, bei welchen wir am Strand nach Booten Ausschau hielten. Bei diesen Einsätzen  lag der Fokus darauf, durch Begegnungen ein tieferes Verständnis für die Situation der Flüchtlinge auf Lesvos zu erhalten. 

 

Weiter Beiträge finden sich unter:

http://www.ideaschweiz.ch/frei-kirchen/detail/wir-fuehlten-uns-wie-gestrandete-97829.html

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