Hacksaw Ridge – Persönliche Moral im Spannungsfeld von Patriotismus und Krieg

Eine Analyse

Mel Gibson thematisiert mit der Lebensgeschichte von Desmond T. Doss grosse Fragen von persönlichen moralischen Grenzen und ethischer Verantwortung im Rahmen von nationaler Zugehörigket. Desmond Doss ist Adventist und so aus Glaubensgründen Militärdienstverweigerer aus Glaubensgründen. In der Folge des Angriffs der Japaner auf Pearl Harbour sucht er einen Weg, seine persönliche Verantwortung gegenüber seinem Vaterland mit seinen Glaubensüberzeugungen vereinen zu können. Aus Glaubensgründen (“Du sollst nicht töten – das ist eines der wichtigsten Gebote”), aber auch wegen persönlicher Grenzerfahrungen kommt er zum Schluss, dass er nie im Leben eine Waffe anrühren wird. Zentral ist da, dass er im Affekt zweimal beinahe tötet, einmal seinen Bruder und später seinen Vater. Überfordert durch seine Kriegstraumata aus dem 1. Weltkrieg wird Desmonds Vater auch gegen seine eigene Familie gewalttätig, und als der junge Desmond seine Mutter beschützen will, setzt er seinem Vater die Pistole an den Kopf und wird sich dann schockiert bewusst, wie nahe er daran war, ihn zu töten. Warum diese Sequenz erst als Rückblenden in den zweiten Teil des Films eingeschnitten wird, ist erzähltechnisch nicht ganz schlüssig, handelt es sich doch um den Schlüssel zu Desmonds Haltung: Er wird sich an sich selbst bewusst, wie hoch der Wert und gleichzeitig die Verletzlichkeit jedes einzelnen Lebens ist, und wie wichtig es ist, dessen Unversehrtheit unter allen Umständen zu bewahren.

Diese Überzeugung gerät in klassisch tragischer Manier mit Desmonds leidenschaftlichem Patriotismus in Konflikt. Er nimmt den Angriff der Japaner auf Pearl Harbour persönlich und will unter allen Umständen gegen diese Macht kämpfen, die ihm als Personifizierung des teuflischen Bösen erscheint.

Im ersten Teil des Films stellt Mel Gibson in tiefgreifender Dialektik die Suche von Desmond nach einem für ihn gangbaren Weg in Treue zu beiden Verpflichtungen dar. Im Rahmen der militärischen Ausbildung werden nicht nur die üblichen Schikanen dargestellt, sondern auch die durchaus ernst zu nehmenden Befürchtungen von Kameraden und Vorgesetzen, was Desmonds Weigerung, mit der Waffe zu kämpfen für sie im nahenden militärischen Kampf bedeuten wird. Überzeugend und mit grosser Achtung entwickelt Gibson das Ringen von Doss um seine Haltung, dass er für sein Land kämpfen möchte, aber nur in der Rolle als Sanitäter, um Leben zu erhalten und nicht zu vernichten. Die Konstellationen mögen klischiert sein, aber Desmond weigert sich in aller Konsequenz sich selbst zu verteidigen. Er muss sich gegen viele Widerstände durchsetzen, und so wird deutlich, wie viel ihn seine moralische Entscheidung und Geradlinigkeit kosten. So wird ihr grosses Gewicht, aber auch Desmonds Glaubwürdigkeit herausgearbeitet. Die schauspielerische Leistung von Andrew Garfield verleiht dieser Figur grosse Tiefe. Dass christliche Glaubensüberzeugungen in solcher Ernsthaftigkeit in einem Hollywood-Film eingebracht werden und Sympathie erhalten, ist selten und Gibson hoch anzurechnen. Auch die Frage, ob es gerechtfertigt ist, zu töten, um gewisse Werte zu schützen, wird breit aufgefächert und ernsthaft diskutiert. Würde der Film hier enden, er könnte als gute Darstellung der Argumente gelten, die üblicherweise für einen waffenfreien Militärdienst ins Feld gebracht werden.

 

Was dann aber im zweiten Teil des Films auf dem Schlachtfeld von Hacksaw Ridge geschieht, zerschreddert das Gewicht dieser moralischen Entscheidung zur absoluten Bedeutungslosigkeit. Der Kampf um diese strategisch wichtige Krete ist eine veritable Schlachterei. Mag sein, dass Gibson zeigen will, dass Doss auch als Waffenloser ein effektiver Soldat ist. Damit bebildert er aber in aller Deutlichkeit, dass es keineswegs nur eine theoretische Überlegung ist, dass Doss trotz seiner persönlichen Weigerung zu töten gleichwohl Teil eines tötenden Verbands ist und es darum keinen Unterschied macht, ob er selbst tötet. Die Hacksaw Ridge wird im Film mystisch überhöht durch die Erzählungen derer, die ihren Einsatz erstmal überlebt haben. Niemand weiss so genau, wie es dort aussieht, alles bleibt vernebelt, nichts ist voraussehbar. Da ist nur Schlachten oder Geschlachtet-Werden. Keine Strategie, die einem das Überleben sichern könnte. Doss robbt Seite an Seite mit seinen Kameraden durch Dreck und Kugelhagel. Sie knallen ab, wer sie bedroht und auch wer Desmond bedroht. In diesem Gemetzel erweisen Waffen durchaus als ambivalent. Wer schiesst, verrät seine Position und wird selbst erschossen. Wenn der Tank des Flammenwerfers getroffen wird, geht sein Träger in Flammen auf. Desmond ist ohne Waffe sogar leicht im Vorteil, er muss auf andere Tricks setzen und entgeht so der Aufmerksamkeit der Gegner. Aber auch er überlebt nur aus Zufall: Als er sich unter einer Leiche verbirgt, verfehlt ihn das Bajonett des Japaners nur um Zentimeter. Desmond profitiert aber nicht nur direkt davon, dass seine Kameraden – auch für ihn stellvertretend – töten. Er greift selbst aktiv in die Kampfhandlung ein. So wirft er etwa seinen Helm in die Luft, um den feindlichen Heckenschützen zum Schiessen zu provozieren und zeigt so seinem Vorgesetzten, wo dieser sitzt, damit er ihn abschiessen kann. Dass kann man zwar auch als heldenhafte Selbstentäusserung sehen, wenn er jeden Selbstschutz aufgibt. Aber wenn er den Verletzten dann auf einen Mantel setzt und ihn zur rettenden Kante schleppt statt ihn zu tragen, sodass dieser rückwärts schiessend die Japaner zurückhalten kann, wird die Absurdität der Weigerung, selbst zu töten, vollends zur Schau gestellt. Desmond verschmilzt in Symbiose mit der kämpfenden Truppe, auch wenn er nichts Anderes will, als Leben retten. Gibsons Darstellung der Schlacht und der Verflechtungen zeigt deutlich: die moralische Entscheidung, selbst nicht zu töten, ist nur dann von Bedeutung, wenn Schuld vollständig individuell verstanden wird und in keiner Weise durch Partizipation an einer korperativen Handlung ausgeweitet wird. Das ist aber gerade im Truppenverband des Militärs nicht möglich.

Auf diesem Höhepunkt des zweiten Teils steht allerdings Desmonds aufopfernder Einsatz, das Leben Verwunderter zu erhalten, noch dialektisch gegen seine Einschmelzung in die Kampftruppe. Er ist gegen Befehl allein zurückgeblieben und hat unter Einsatz seines Lebens die ganze Nacht einen Soldaten nach dem andern über die Kante in die Sicherheit abgeseilt, die meisten so schwer verwundet, dass sie nicht mehr aufs Kampffeld zurückkehren würden. Ihr Leben also dem Schachten entrissen.

Diese dialektische Spannung wird im dritten Teil des Films aber aufgegeben. Nach üblicher Dramaturgie wird nach der Niederlage die Schlacht angegangen, die die Entscheidung bringen wird. Desmond ist mittlerweile nicht nur zum Helden geworden, sondern auch moralische Schlüsselfigur. “Sie mögen zwar deinen Glauben nicht teilen”, sagt der Befehlshaber über Desmonds Kameraden, “aber sie glauben an deinen Glauben.” Und so wird die Leuchtkraft seiner Moral, seine Geradlinigkeit und der Einsatz seines Lebens zugunsten anderer, zur psychologischen Waffe, welche den Kampfgeist der Truppe stählt. Während die andern stellvertretend für ihn schiessen, glaubt Desmond stellvertretend für sie. Doch wenn die andern so an seinem Glauben partizipieren können, wird es auch unmöglich, noch irgendwie die Unschuld des einen, der nicht tötet, aus dem Gesamtgeschehen zu lösen.

Noch kaum je hat ein Film die Vereinnahmung der Religion durch den Staat so eindeutig gezeigt. Keiner der Soldaten ist bereit, auf die Ridge zurückzukehren, bevor Desmond nicht für sie gebetet hat. Sicher, er mag um ihren Schutz beten und nicht um den Sieg, trotzdem verliert sein Glaube hier jede Widerstandskraft. Während der Glaube im ersten Teil die Mechanismen des Militärs hinterfragt hat und Desmond und das Militär dazu gezwungen hat, neue Wege zu gehen und Hinterfragung zuzulassen, ist diese Spannung nun im dritten Teil aufgehoben. Der Glaube ist selbst zum Teil des militärischen Systems geworden. Seine Widerständigkeit ist verschlungen ins übergeordnete Ziel, den Feind zu vernichten.

Es ist symptomatisch, dass Gibson auf der Ebene des Kampfes der Nationen gegeneinander jegliche Dialektik aufgibt und am Schluss völlig schwarz-weiss zeichnet. Während sich die Amerikaner etwa ans Kriegsgesetz halten und auch verwundete Gegner retten, gehen die Japaner gezielt gegen Verwundete vor, töten die Sanitäter als erste, und benutzen selbst noch in schon verlorener Schlacht eine vorgetäuschte Kapitulation dazu, noch ein paar Gegner mit sich in den Tod zu reissen. Desmond rettet Leben, während der Oberste der Japaner Harakiri begeht.

Dieser Schluss bringt ans Licht, dass in diesem Dilemma zwischen persönlicher Moral und Loyalität zur staatlichen Gemeinschaft letztlich die Gewalt des Staates siegt. Die Rechtfertigung des Kriegs liegt darin, dass die Amerikaner die Werte ihrer Demokratie gegen einen rein teuflisch zerstörenden Gegner verteidigen müssen. Dass sie dies auf dem Boden von dessen Staat tun und somit selbst dessen Souveränität verletzen, wird von Gibson nirgends problematisiert.

Gibsons Absicht, die Heroisierung von Desmond durch dessen persönliche Unschuld zu überhöhen, kippt ins Gegenteil. Die persönliche Unschuld wird bedeutungslos durch die Vereinnahmung und Instrumentalisierung durch die übergeordneten Ziele einer gewaltsamen Verteidigung der Werte des eigenen Vaterlandes. Dies mindert in keiner Weise die hohe Integrität von Desmond, die Ernsthaftigkeit seines Ringens und den Respekt vor der Konsequenz, mit der er seine Entscheidung durchhält, wenn er den Weg einmal gefunden hat, wie er die unterschiedlichen Loyalitäten in seinem Leben zu vereinen sucht. Es verweist aber auf die unheimlich-bestialische Macht eines militanten Staates, der den hohen persönlichen Wert eines solchen Lebens in seiner Maschinerie verschlingt. Und somit die Frage, wie der Wert des einzelnen Lebens und der Imperativ, sich für dessen Bewahrung einzusetzen, vor dieser Übermacht geschützt werden kann.

In Zeiten von religiös begründeten Selbstmordattentaten – die Japaner greifen in Gibsons Film auch zu dieser Methode – ist es sicher ein Lichtblick, wenn die Möglichkeit von Gewaltlosigkeit im Kampf gegen das (vielleicht auch nur vermeintlich) Böse ausgelotet werden. Aber im Endergebnis stellt Hacksaw Ridge eher die Frage, ob mit dem waffenfreien Dienst diese Möglichkeiten wirklich schon bis an die Grenze ausgelotet sind. Nur ganz am Rande werden nicht-kombatante Alternativen in den Blick genommen, allesamt für Desmond keine Option. Dabei hätte es diese durchaus gegeben. Wie A.J. Klassen in “Alternative service for peace: in Canada during World War II” aufzeigt, gab es für Kriegsverweigerer durchaus andere und wirkungsvolle Möglichkeiten, sich für die Bewahrung des Lebens und den Schutz von Menschlichkeit einzusetzen. Und damit auch der Mythisierung des Feindes ins absolut Böse weitaus effektiver entgegenzutreten als dies Desmond im kombatanten Kontext möglich ist.

Jürg Bräker,

  1. Februar 2017
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