Fasten in der politischen Krise (II)

Die Volksweisheit „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen“ weist auf die Notwendigkeit von Nahrung für den Menschen hin. Aber eben auch darauf, dass Nahrung Lebens-Mittel ist, das wir als Gabe der Schöpfung durch das Fasten wieder schätzen und massvoll geniessen lernen. Fasten stellt eine wichtige Selbstbescheidung dar, die der Suche nach einem solidarischen Lebens- und Wirtschaftsstil der Genügsamkeit wichtige Impulse vermittelt.

 

„Fasten in der politischen Krise“ – unter diesem Titel hat letzte Woche eine bunt gemischte Gruppe in der Mennoniten Gemeinde Bern gefastet. Ein gemeinsames Angebot von ChristNet und den Mennoniten. Als ärztlich anerkannte Fastenleiterin weiss ich, das Fasten neben dem wohltuenden Ruhen des Verdauungstraktes den Geist freier und fühliger macht. Wir sehen wieder Dinge, die wir lange übersehen haben, achten auf Worte, nehmen Gerüche neu wahr – all unsere Sinne werden wacher und sensibel für uns selbst, die Umwelt und die Mitmenschen. Fasten unterbricht gewohnte Verhaltensmuster und lädt uns dazu ein, Neues auszuprobieren und zu prüfen, was uns und anderen gut tut.

 

Dies ist genau der richtige Zustand um in Offenheit und ohne Scheuklappen hinzuschauen, was in der Welt passiert. Sind wir nicht alle verunsichert, dass starke Männer mit noch stärkerem Führungswillen, verstrickt in Gewalt und Korruption, wieder einen unwiderstehlichen Sog auswirken? Ja, es gibt auch Frauen, die ihren Weg zur Macht populistisch anlegen. Wie ist es möglich, dass Menschen zu Wahlgewinnern werden, die Ausgrenzung, Rassismus und unrechtmässige Aneignung zu ihrem politischen Programm machen? Was können wir dagegen tun?

 

Die Zusammenhänge sind hochkomplex und – nein, wir haben in unserer Fastenwoche keine allgemeingültigen Antworten und Rezepte gefunden. Aber den Willen zum Widerstand. Im gewaltfreien Widerstand leuchtet die Schönheit der Menschlichkeit und ihr kreatives Potenzial auf. Er braucht einerseits Gemeinschaft und Gebet, um nicht ins Leere zu laufen. Anderseits Achtsamkeit im Alltag, indem wir nach Lösungen suchen, wie wir beispielsweise unsere Ernährung gestalten, damit wir nicht auf Kosten unserer Mitmenschen im Süden essen.

 

Wie sich Gottes Macht als Schöpfungs-,  Lebens-, Liebe- und Gütekraft manifestiert und Leben still und bedächtig schafft, zeigen wir uns mit Glaube, Liebe und Hoffnung den Mächten und Gewalten widerständig. So könnte man das Fazit unserer Woche zusammenfassen.

 

Dorothea Loosli-Amstutz, lic.sc.theol, ärztlich anerkannte Fastenleiterin arbeitet selbständig www.keb.global und ist Älteste in der Mennoniten Gemeinde Bern.

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