Zur Frage der Gewalt im Zwingli-Film

Chrischt si heisst nöd, vo Chrischtus schwätze, sondern es Läbe z’füehre, wie Chrischtus gfüehrt hät

Zur Frage der Gewalt im Zwingli-Film von Stefan Haupt – von Jürg Bräker

Als ich diesen kernigen Satz das erste Mal in einem Trailer zum Zwingli-Film hörte – der Sprecher war nicht im Bild – dachte ich: “Aha, da wird sogar den Täufern prominent das Wort gegeben!” Doch schon bald beschlichen mich Zweifel: Da könnten mir die täuferischen Klischees einen Streich spielen, mit denen wir uns gerne von der “offiziellen” Reformation der Grosskirchen abgrenzen: Dort nur eine Reformation der Kirche und ihrer Lehre, bei den Täufern die Reformation des Lebens. Der Satz klingt ja ganz ähnlich wie der Satz von Hans Denck, den wir gerne zitieren, wenn es um unser Glaubensverständnis geht: Niemand vermag Christus wahrhaft erkennen, es sei denn, er folge ihm nach mit seinem Leben. 

Und tatsächlich: Im Film spricht Zwingli die Worte, und sie bringen diese Darstellung der Reformation auf den Punkt: Zwinglis Reformation zielte auf einen in Taten der Liebe gelebten Glauben, insbesondere auf Verbesserungen für die Armen, die unter den Privilegien der Mächtigen leiden. Das macht den Film so aktuell. Es geht nicht nur um die Darstellung einiger Veränderungen in der Kirche. Der Film befragt die Kirche darauf, was ihr angebliches Evangelium denn für die Menschen bedeutet, was sie ist im Gesamtzusammenhang der Gesellschaft.

Diese Auswirkungen werden an der stärksten Figur des Films sichtbar, der Witwe Anna Reinhart, die zu Zwinglis Frau wird. Bis in die Kosmetik hinein hebt sich ihre Darstellung ab von den anderen Figuren, sie tritt ungeschminkt auf, offen, mutig und unverstellt, an ihr als Mensch wird fassbar, wie befreiend die Kraft dieses Evangeliums sein kann. Jeder der Reformatoren würde gerne auf eine solche Frau in seinen Reihen verweisen. Aber diese transformative Kraft des Evangeliums ist heikel; in einer Gesellschaft, die von vielen Seiten unter Druck steht, kann es leicht zu gewaltsamen Ausbrüchen von Gewalt kommen, wenn die festigenden Strukturen zerbrechen. Dies ist eine der Kernfragen des Films: In welchen Schritten, in welchem Tempo und mit welchen Mitteln gelingt eine solche Gratwanderung, die Wandlung tiefgreifender gesellschaftlicher Strukturen? Wie gelingt es, ohne dass Gewalt aufbricht durch die Brüche im Fundament der Gesellschaft? 

Das Urteil des Films, das sich im Abspann resümiert, ist eindeutig: Zwingli findet mit weisem Augenmass als einziger den Weg, die ständig drohende Gewalt abzuwehren, gerade weil er nicht immer an seinen Grundsätzen festhält, sondern situativ das nötige “Tapfere” tut. Dabei steht er oft fast alleine da, oder zwischen den Reihen. Zum einen, als es darum geht, an den Täufern ein Exempel zu statuieren, dass die Staatsgewalt nicht in Frage gestellt werden darf. Zwingli äussert sich zwar dagegen, dass diese Hitzköpfe zu Tode verurteilt werden, lässt den Dingen aber ihren Lauf und schaut stumm zu, wie Felix Mantz ertränkt wird. Im Laufe des Films wird seine Position aber klar: Es ist zwar falsch, Menschen wegen ihres Glaubens zu töten, aber manchmal braucht es gezielte Gewalt, um Schlimmeres zu verhindern. 

Was dieses “Schlimmere” wäre, wird in der vorausgehenden Darstellung deutlich, wie die Täufer zu einem Aufstand des Volkes aufrufen. Die Szene ist gleich aufgebaut wie jene, welche die Unruhen der Bauernaufstände zeigt, die Aufrührer mit dem Rücken zur Wand einer Landkirche, ebenso der hetzende Ton, der die Wut im Volk schürt. Schon ihre Kleidung spricht Bände: man weiss nicht so recht, ist es heruntergekommener Adel oder einfach nur zerschlissen und unkultiviert? Sie fallen hinter Zwinglis gemessen-festem Taktieren zurück. Die Täufer reden zwar von Gewaltlosigkeit, aber ihre Rhetorik ist gewalttreibend, und schon drohen die Bauern in Wut mit ihren Heugabeln. Es scheint fast so, als würden die Täufer mit ihrer Rede von Gewaltlosigkeit nur Zwingli nachplappern, in ihren Taten aber Gewalttreiber sein. Sie schwätzen vom Evangelium, handeln aber nicht danach. Der Vorwurf von Zwingli an sie ist deutlich: Sie stellen Rechtgläubigkeit über das, was jetzt den Frieden fördern würden, halten ideologisch am Gedanken-Glauben fest statt in der Tat das Beste für die Gesellschaft zu suchen.

Auch wenn die Darstellung überspitzt ist, ist die Anfrage nicht unberechtigt: Fördert es, zumindest indirekt, gewaltsame Ausbrüche, wenn eindämmende oder mindestens lenkende Machtstrukturen zerbrochen werden? Haben die Täufer des Grossmünster-Kerns genügend scharf auf die reale sozialpolitische Situation geblickt oder doch zu sehr an einem Wahrheitsverständnis des Evangeliums festgehalten, das zu wenig in den Kontext des gelebten Glaubens hineinblickte? In der Geschichte lässt sich die Frage kaum beantworten, die von den Täufern angestrebte Reformation konnte nie in Ruhe ihre Wirkung entfalten. Aber heute zeigt sie auf, dass Gewalt viele Formen kennt und keineswegs auf bewaffnete Auseinandersetzungen zu reduzieren ist. Den richtigen Rhythmus zu finden in den Entscheidungen eines Wandels gehört tatsächlich zu den wichtigen Friedensintrumenten.

Trotzdem bin ich erschüttert, mit welcher Deutlichkeit der Film dem Mythos von gezielt, reduziert und präzise geführter eingreifender Gewalt huldigt, die schlimmere Gewalt verhindert. Zwingli opfert die eigenen Überzeugungen, wenn er sich nicht gegen die Täuferverfolgung stellt und dann später zum Militärschlag gegen die Altgläubigen aufruft und selbst in die Schlacht zieht. Da hat er fast alle seine Begleiter und Begleiterinnen gegen sich, auch Anna versteht ihn nicht mehr und erinnert ihn an seine Herzensanliegen der eigenen Predigt. Aber der einsame Schritt Zwinglis, zum Schwert zu greifen, wird im Film nicht als Bruch oder gar als Scheitern gewertet. Obwohl noch immer von seinem Herzen bewegt, schwingt Zwingli sich als Einziger zu einer Weitsicht auf, die Kopf, Herz und Hand zu integrieren vermag, während Anna in ihren Gefühlen verheddert bleibt, die ihr die staatsmännische Perspektive vernebeln. Der Abspann überhöht Zwingli zum Helden, der nicht nur sein Leben, sondern vor allem seine eigene Überzeugung geopfert und so verhindert habe, dass Zürich in die weiteren nun folgenden Konfessionskriege verwickelt wurde. Man muss das Zeitfenster und den geographischen Raum schon sehr eng eingrenzen, um dieser Aussage noch irgendeinen Wahrheitsgehalt abringen zu können.

Mich erschreckt, wie klischierenden hier die Schwarz-Weiss-Zeichnungen eingesetzt werden. Traut es der Regisseur den Zürcher Reformierten nicht zu, in den Spiegel einer ambivalenteren Darstellung ihrer Ursprünge zu blicken? Vor allem aber erschreckt mich die Hörigkeit gegenüber jenem Mythos, der noch immer die Rechtfertigung staatlicher Gewalt trägt: Dass gezielt und präzise angewandte Gewalt, obwohl in sich Unrecht und nicht dem entsprechend, was sein soll, letztlich doch zu bejahen sei, weil sie noch grössere Gewalt verhindere. Das aber stellt verschärft die Frage, an welcher Realität denn die Kirche die Wirkung ihres verkündigten und gelebten Evangeliums misst. In der Tat kann dies nicht die Realität einer Ideologie sein, an der ohne Rücksicht auf den Kontext festgehalten wird. Aber ebenso täuschend ist die Annahme, beim Mythos von deeskalierender Gewalt handle es sich um die belegte Wirklichkeit, in welche sich das Evangelium Christi einzuordnen habe. Der Abspann des Films verrät es: zu viel wird da von der Wirklichkeit ausgeblendet, zu wenig wird dem Mut Raum gelassen, nach noch unbeschrittenen Pfaden zu suchen.J

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