Am Samstag, den 28. März, fanden Präsidentschaftswahlen statt. Annähernd 70 Millionen Wählerinnen und Wähler sind registriert und erhalten in diesen Tagen ihre Wahlkarten, darunter auch 2 Millionen in Borno und 1.6 Millionen in Adamawa, den am meisten von der Gewalt seitens Boko Haram betroffenen Bundesstaaten.
Die Erwartungen an den neuen Präsidenten sind enorm. Die Lage im Norden muss unter Kontrolle gebracht und der Aufstand von Boko Haram muss erfolgreich niedergeschlagen werden. Die Wirtschaft bedarf weiterer Belebung und ein konkretes Ziel ist die Steigerung ausländischer Direktinvestitionen. Die Korruption muss energisch bekämpft werden und die Lebensverhältnisse von Millionen von Nigerianerinnen und Nigerianern, von denen etwa drei Viertel unter der Armutsgrenze leben, müssen spürbar verbessert werden.
Seit 2008 bekämpft Boko Haram mit Terroranschlägen den Staat und die Zivilbevölkerung in Nordnigeria, seit 2014 vermehrt auch in Nachbarländern. Inzwischen kontrollieren die Milizen nahezu den gesamten Bundesstaat Borno. Zwischen 2009 und 2015 fielen mehr als 13ooo Menschen Boko Haram zum Opfer, zudem hat die Gruppe Hunderte Kinder entführt[1].
Boko Haram war lange Monate vom nigerianischen Militär scheinbar unbehelligt von Erfolg zu Erfolg geeilt, hatte weite Teile des Bundesstaates Borno und des Nordens des Bundesstaates Adamawa inklusive zeitweise der 300‘000 Einwohner zählenden Stadt Mubi unter seine Kontrolle gebracht. Die Millionenstadt Maiduguri, Hauptstadt des Bundesstaates Borno, wurde mehrfach attackiert und schien kurz vor der Einnahme durch Boko Haram und auch Yola, die Hauptstadt des Bundesstaates Adamawa, schien bedroht. Zeitweise kontrollierten die Terroristen ein Gebiet von etwa 50‘000 qkm mit einer Bevölkerung ca. 1.8 Millionen. Zusätzlich verübten sie ebenfalls scheinbar ungehindert Anschläge auf Militärstationen und christliche und gemässigt muslimische und zivile Einrichtungen im gesamten Norden des Landes bis hin nach Abuja, der Hauptstadt des Landes. Auch die Nachbarländer Kamerun, Tschad und Niger waren Ziel von Angriffen durch Boko Haram.
Mitte Februar 2015 startete die Regierung eine Offensive gegen die Terroristen. Eine grössere Anzahl von Dörfern und Städten konnten zurückerobert werden. Hunderte ihrer Kämpfer wurden angeblich getötet und militärisches Gerät und Waffen konnten in grösserem Umfang zerstört oder gesichert werden. Mit internationaler Unterstützung gingen sie gegen Stellungen von Boko Haram im nigerianischen Grenzgebiet vor und konnten die Terroristen aus den unmittelbaren Grenzregionen vertreiben und damit die Gefahr von Übergriffen auf ihre Länder reduzieren.
Wie dauerhaft diese Erfolge sind und wie die gegenwärtige Schlagkraft von Boko Haram einzuschätzen ist, bleibt abzuwarten. Kurz vor der Wahl hat die islamistische Terrorgruppe im Nordosten Nigerias nach übereinstimmenden Angaben erneut Hunderte Frauen und Kinder entführt.
Die Situation der Flüchtlinge
In Nigeria gibt es nach neuesten Angaben zurzeit mittlerweile 2 Millionen Binnenflüchtlinge. Dazu sind etwa 200‘000 Menschen in die Nachbarländer Kamerun, Niger und Tschad geflohen. Die meisten von ihnen haben alles verloren und sind auf schnelle humanitäre Hilfe angewiesen. Die Binnenflüchtlinge sind zu einem erheblichen Teil bei Freunden und Verwandten und zum Teil sogar bei Fremden untergekommen. Doch auch dort benötigen sie, sowie die aufnehmenden Familien, dringend Unterstützung. Eine Vielzahl von Flüchtlingen kampiert zudem im Freien. Sie sind am gefährdetsten. Die nigerianische Regierung hat sehr spät auf die Situation reagiert und sich dadurch heftige interne und internationale Kritik zugezogen. Lange Zeit hat man den Konflikt und das daraus entstandene Flüchtlingsproblem heruntergespielt und den Eindruck zu vermitteln versucht, alles unter Kontrolle zu haben. Ausländische Hilfe wurde mehrfach abgelehnt.
In der zweiten Jahreshälfte 2014 hat die Regierung dann nicht zuletzt aufgrund fortgesetzten nationalen und internationalen Drucks über ihre Nationale Nothilfeagentur (NEMA) begonnen, auf die Situation zu reagieren. Eigene Ressourcen wurden zur Versorgung der Flüchtlinge mobilisiert, die jedoch bei weitem nicht ausreichen, um den seitdem stark gestiegenen Bedarf zu decken. Zudem werden bisher nur die 10-15% der Flüchtlinge versorgt, die in Lagern leben. Im Februar 2015 erliess daher das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) einen Aufruf an die internationale Gemeinschaft zur Unterstützung seiner Mission in Nigeria und den betroffenen Nachbarländern. Der akute Bedarf wurde seinerzeit auf 71 Missionen USD geschätzt. Leider war die bisherige Reaktion sehr enttäuschend. Bis zum heutigen Tag sind lediglich 6.8 Millionen USD eingegangen. Damit ist die Mission die am meisten unterfinanzierte des UNHCR. Der Bedarf wird mittlerweile auf 125 Millionen USD taxiert. Einstweilen haben die Vereinten Nationen 28 Millionen USD aus dem Central Emergency Response Fund (CERF) zur Verfügung gestellt.
Zivilgesellschaftliche Organisationen, allen voran die betroffenen Kirchen, versuchen, die Lücken zu füllen und dabei zu helfen, die akute Not der Flüchtlinge zu lindern. Auch muslimische Organisationen sind auf diesem Gebiet aktiv. Insgesamt ist jedoch ein erheblicher Mangel an Solidarität innerhalb des Landes mit den Opfern der anhaltenden Gewalkt durch Boko Haram zu beklagen. Die Menschen im südlichen Teil des Landes sind oft nur sehr unzureichend über die Lage im Norden und die Situation der betroffenen Menschen informiert. Gerade von den grossen, wohlhabenden Kirchen im südlichen Nigeria darf mehr Engagement erwartet werden. Doch der Konflikt scheint für die Menschen der Region weit weg zu sein.
Schliesslich muss auch die Lage der in ihre Heimat zurückgekehrten Flüchtlinge gesondert betrachtet werden. Wie oben erwähnt, sind weite ehemals von Boko Haram kontrollierte Gebiete inzwischen zurückerobert worden. Zehntausende, wenn nicht gar Hundertausende von Flüchtlingen sind daraufhin in ihre Heimat zurückgekehrt. Ihre Häuser sind jedoch weitgehend zerstört sowie oft ein Grossteil der Infrastruktur in den Siedlungen. Geschäfte, Gehöfte und Felder sind ebenfalls weitgehend zerstört oder verwüstet. Dabei steht für die überwiegend agrarisch lebende Bevölkerung der Region die nächste Pflanzsaison bevor. Hier braucht es dringend Unterstützung durch die lokalen Partner und die internationale Gemeinschaft in Form von Ackerbaugeräten, Saatgut und eventuell Dünger und Pflanzenschutzmittel.
[1] Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/nigeria-boko-haram-zentrale-soll-zerstoert-worden-sein-a-1025946.html, besucht am 27.3.15
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