A propos: den Dokumentarfilm Konzern-Report (38min) kann man hier ansehen.
Reflexionen von Willi Renfer, Oktober 2020
Jetzt kommt der auch noch! Ja, ich fühle mich aufgerufen, ein paar (hoffentlich klärende) Worte zur kommenden Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative zu sagen.
Wenn ich die bisher bekannt gewordenen Kommentare und Argumente der verschiedenen Pro- und Kontra-Komitees und des Bundesrates studiere habe ich den Eindruck, dass da wieder einmal viel an der Realität vorbei politisiert wird. Die meisten dieser Argumente gehen stillschweigend davon aus, dass die Mehrzahl der Stimmbürger die rechtlichen und wirtschaftlichen Arbeits- und Lebensbedingungen in vielen Ländern des globalen Südens kaum kennen oder beurteilen können. Auch die Politiker kennen sie oft selber kaum. Zustimmung oder Ablehnung sind in der Folge mehr durch Emotionen als durch Fakten geprägt.
Ich masse mir nicht an, alles besser zu wissen, aber ich habe immerhin während über 30 Jahren in verschiedensten Ländern auf 4 Kontinenten in verantwortlicher Position gearbeitet und dadurch Einblicke und Erfahrungen gesammelt, die vielen anderen Schweizern notgedrungen fehlen.
Um was geht es? Es scheint mir leider unbestreitbar, dass einzelne grosse Unternehmen mit Sitz in der Schweiz in anderen Ländern (v.a. Ländern des Südens) Menschenrechte massiv verletzen, Arbeitskräfte (v.a. auch Kinder) und Rohstoffe ausbeuten und zum Teil erhebliche Umweltschäden verursachen. Um sich vor rechtlichen Folgen für ihr Handeln zu schützen oder ihre Handlungen überhaupt zu ermöglichen setzten sie oft erfolgreich ihre Marktmacht und Korruption bei einflussreichen Akteuren und Politikern ein. Sie tun das häufig nicht in ihrem Namen sondern lassen andere diese schmutzige Arbeit für sie tun. Als Motiv für dieses Handeln erkenne ich nur den Wunsch/die Gier, möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Gewinne sind in diesem Prozess häufig wichtiger als Fairness oder Verantwortung. Erschreckende Beispiele werden in den Berichten und Publikationen u.A. von ‚Public Eye‘ (ehemals ‚Erklärung von Bern‘) und ihren mutigen Ermittlern geschildert (siehe www.publiceye.ch/de). Wer sie nicht findet, kann bei mir Einsicht nehmen.
Keine Frage: Unternehmen müssen in guten Zeiten Gewinne erzielen, damit sie langfristig überleben können. Aber: rechtfertigt der Zweck alle Mittel? Und: wozu werden diese Gewinne verwendet?
Ist diese Initiative nun das richtige Instrument, um unverantwortliches Tun einzelner Unternehmen zu stoppen und Menschen in anderen Ländern vor Schaden oder gar die Welt vor selbstzerstörerischer Ausbeutung zu bewahren?
Alles was sich Menschen ausdenken ist mangelhaft, hat gute und auch unerwünschte Folgen. Auch diese Initiative ist nicht vollkommen. Die Weltwirtschaft ist zu komplex, als dass eine Aktion der kleinen Schweiz sie über Nacht in wesentlich neue Bahnen lenken könnte. Trotzdem empfehle ich ohne zu zögern ein klares
JA
für diese Initiative in die Urne zu legen, denn sie ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Vorteile – v.a. moralische und ethische – überwiegen eindeutig. Welche Gedanken leiten mich zu meiner Empfehlung? Nachfolgend nur ein paar davon
1. Unser Bundesrat, vertreten durch die Justizministerin Frau Keller-Sutter behauptet, dass sich die Schweiz durch diese Initiative in die Rechte anderer Staaten einmische. Das ist aber ganz klar nicht der Fall. Auf Grund dieser Initiative könnte in Zukunft wo nötig fehlerhaftes Verhalten irgendwo in der Welt von Schweizer Firmen hier in der Schweiz und nach schweizerischem Recht beurteilt und allenfalls bestraft werden, völlig unabhängig von der Situation und der Justiz im Land des Geschehens. Das verletzt keinerlei Rechte anderer Staaten.
2. Der Bundesrat und gewisse Parlamentarier vertreten die Meinung, dass geschädigte Personen heute schon in ihren jeweiligen Ländern einen erlittenen Schaden einklagen können. Das ist eine völlig weltfremde Behauptung. Nach meinen Erfahrungen sind einfache Bürger in sehr vielen Ländern Afrikas, Südamerikas und auch Asiens so gut wie rechtlos. Selbst in unserer lieben Schweiz ist es ja äusserst schwierig, Klagen gegen grosse Konzerne durchzusetzen. Umso schwieriger wenn nicht völlig unmöglich (oft sogar Lebensgefährlich) ist das in weniger entwickelten Staaten. Ich erwarte viel mehr den gegenteiligen Effekt: ein Urteil in der Schweiz gegen unverantwortliche Unternehmen dank dieser Initiative könnte die Rechte von einfachen Bürgern in anderen Staaten sehr wohl stärken.
3. EconomieSuise behauptet, dass sich heute schon 99,9% der Firmen an die durch die Initiative geforderten ethischen Regeln halten. Das wäre ein respektabler Wert. Aber warum setzen sich dann Parlament, Bundesrat, die meisten Wirtschaftsverbände und einige politische Parteien so vehement für den Schutz der verbleibenden 0,1% schwarzer Schafe ein dadurch, dass sie diese Initiative ablehnen? Irgend etwas scheint mir da nicht logisch.
4. Kein anderer Staat hat bisher solche Gesetze, wie sie diese Initiative fordert. Das stimmt teilweise. Einige andere Staaten wie z.B. Grossbritannien und Deutschland haben aber bereits Regelungen, die in diese Richtung gehen. Aber wenn die Schweiz da ein weiteres Zeichen setzt, wird das mit Sicherheit andere Staaten ermutigen, unserem Beispiel zu folgen. Es ist zu einem schlechten Prinzip geworden dass die Schweiz (die ja unabhängig zu sein behauptet) immer nur das macht, was andere schon längst haben oder verlangen (s. Bankgeheimnis, Sorgfaltspflicht bei Geldwäscherei etc.). Ich wünsche mir endlich wieder eine Schweiz, die mutig voran geht und z.B. auch den Schutz von schwachen Marktteilnehmern verteidigt so gut es geht und so weit wie möglich – auch da wo es vielleicht etwas weh tut.
5. Wenn Schweizer Firmen gewisse dubiose Geschäfte nicht mehr abwickeln dürfen, dann werden Firmen aus anderen Ländern das an ihrer Stelle tun. Das ist überhaupt kein akzeptables Argument gegen die Initiative, auch wenn es nicht falsch ist. Wenn mein Nachbar jemand umbringt gibt mir das noch lange kein Recht, auch jemand umzubringen. Wenn die Schweiz aber endlich griffige Massnahmen ergreift um offensichtliche Missstände zu beheben, hat sie weit bessere Argumente um andere Länder zu motivieren, ihr auf diesem Weg zu folgen.
6. Der Bundesrat behauptet, dass von den Auswirkungen der Initiative 80’000 schweizerische Unternehmen negativ von einer Beweispflicht betroffen wären (grosser administrativer Aufwand um zu beweisen, dass sie nicht in illegale Geschäfte verwickelt sind), davon seien 80% Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern (sog. KMU’s). Das ist m.E. eine unhaltbare Aussage und gezielte Angstmacherei. In unserem Rechtssystem muss niemand beweisen, dass er nichts Strafbares getan hat. Erst wenn jemand findet, ich hätte Unrecht getan, kann er mich verklagen. Aber dann muss er meine Schuld beweisen.
Die unzähligen und für die Schweiz so wichtigen KMU’s haben mit ganz wenigen Ausnahmen völlig übersichtliche Strukturen und Partnerschaften. Sie stehen durch ihre bescheidene Grösse auch kaum in der Gefahr, in korrupte Handlungen grossen Stils verwickelt zu sein. Die Initiative hat deshalb ausschliesslich die paar grossen Akteure in diesem traurigen Prozess im Auge und verlangt sogar explizit, dass in der späteren Gesetzgebung die Bedürfnisse (d.h. die relative Harmlosigkeit) dieser kleinen Unternehmen gebührend berücksichtigt werden.
Es zirkuliert auch die Behauptung, die Unternehmen würden durch diese Initiative zu einem enormen administrativen Aufwand gezwungen, weil sie die ‚Sauberkeit‘ jedes ihrer Lieferanten beweisen müssten. Auch das ist eine gezielte oder fahrlässige Fehlinformation. Die Initiative verlangt mit keinem Wort die Kontrolle von Lieferanten. Sie verlangt aber zu Recht die Überwachung der Tätigkeiten von direkten oder indirekten Tochtergesellschaften (von denen die KMU’s meistens keine haben). Und diese Kontrolle bringt keinerlei Mehrarbeit, weil sie in einem gut geführten Unternehmen ohnehin schon zum Alltag gehört.
Es ist in diesem Zusammenhang interessant und erfreulich, dass sich eine beträchtliche Anzahl Unternehmerinnen und Unternehmer im ‚Wirtschaftskomitee für verantwortungsvolle Unternehmen‘ ebenfalls mit sehr guten Argumenten für die Annahme dieser Initiative einsetzen (siehe www.verantwortungsvolle-unternehmen.ch). Das sind mutige und weise Frauen und Männer, die gerade jetzt besseres Gehör und Respekt verdienen. Sie würden sich kaum so einsetzen, wenn diese Argumente des Bundesrates stichhaltig wären.
7. Wir haben kein Recht, Korruption und Misswirtschaft in anderen Ländern zu beklagen solange wir nicht bei uns selber alles Zumutbare und Mögliche unternommen haben um zu verhindern, dass einzelne schweizerische Unternehmen und ihre Handlanger in solchen traurigen Aktivitäten wesentlich mitmischen.
8. EconomieSuisse hat eine Kampagne gegen die Initiative vorbereitet u.A. mit dem Bild eines Hundes, der sich in den Schwanz beisst und mit dem Text „Helfen ja, aber doch nicht so!“ Aber sie sagen mit keinem Wort, wie sie denn helfen wollen.
Auf jeden Fall ist der indirekte Gegenvorschlag zu dieser Initiative, auf den sich die Mehrheit unseres Parlaments nach langem und unwürdigem Feilschen schliesslich geeinigt hat, ein völlig untaugliches Mittel, die offensichtlichen Missstände zu beheben. Dieser Gegenvorschlag enthält keinerlei einklagbare und wirksame Haftungsregelungen durch welche ein Fehlverhalten bestraft werden könnte. Er sieht lediglich Pflichten zur Berichterstattung für gewisse Branchen vor. In solchen Berichten können die Tatsachen auf Hochglanzpapier weiter schön geredet werden ohne dass sich etwas verändert. Das ist untaugliche Schönwetterpolitik.
9. Die Gegner der Initiative haben keine stichhaltigen Argumente und versteigen sich deshalb in unsachliche Angstmacherei. Wir werden demnächst vor Plakaten einer grossen Partei stehen, welche die Befürworter dieser Initiative als Linksextreme bezeichnen. Wenn Befürworter von Menschenrechten neuerdings zum linken Extremismus gehören, dann zähle ich mich ab sofort gerne auch dazu (ohne dass mir jemand sagen kann, was das eigentlich ist).
Mir scheint, es könne nur gegen diese Initiative sein, wer bereits gegen Menschenrechte verstossen hat und die Folgen fürchtet oder wer solche Verstösse decken will. Ich bedaure ausserordentlich, dass sich der Bundesrat auf diese Seite stellt.
Wer in der Schweiz eine Cervelas klaut, wird dafür bestraft. Wer aber aus der Schweiz heraus in anderen Ländern grossen Schaden anrichtet und Menschen massiv schädigt, soll dagegen weiterhin unbestraft bleiben? Eine solche Haltung ist der Schweiz nicht würdig!
Mir ist aber auch wichtig, dass alle, die zu dieser Initiative JA sagen, danach auch bereit sind, die Folgen auf sich zu nehmen. Es ist klar, dass dann, wenn Arbeiter und Arbeiterinnen in den Bananen-, Kakao-, Soja- und anderen Plantagen endlich einen lebenssichernden Lohn und faire Arbeitsbedingungen erhalten und wenn billige Kinderarbeit verboten wird, dass dann auch die durch sie produzierten Produkte teurer werden. Das gleiche gilt für die Arbeiterinnen, die irgendwo auf der Welt unsere Kleider nähen oder unsere Computer und Telefone montieren. Wenn diese Folgen spürbar werden wird sich zeigen, ob es uns allen wirklich ernst ist mit Gerechtigkeit, Fairness und Entwicklungs-Förderung. Ich zähle da auf Euch alle!!
Übrigens: wir brauchen nicht auf die Initiative zu warten. Verantwortungsvolles Einkaufen von fair produzierten Produkten ist jetzt schon möglich und auf jeden Fall eine gute Sache. Auch das löst nicht alle Probleme, aber es ist doch auch ein guter Schritt in die richtige Richtung. Aber vergessen wir darob nicht, diese Initiative an der Urne anzunehmen!
Mit freundlichen Grüssen : Willi Renfer
PS: Zum besseren Verständnis nachstehend der Text der Initiative:
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 101a Verantwortung von Unternehmen
1 Der Bund trifft Massnahmen zur Stärkung der Respektierung der Menschenrechte und der Umwelt durch die Wirtschaft.
2 Das Gesetz regelt die Pflichten der Unternehmen mit satzungsmässigem Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz nach folgenden Grundsätzen:
a. Die Unternehmen haben auch im Ausland die international anerkannten Menschenrechte sowie die internationalen Umweltstandards zu respektieren; sie haben dafür zu sorgen, dass die international anerkannten Menschenrechte und die internationalen Umweltstandards auch von den durch sie kontrollierten Unternehmen respektiert werden; ob ein Unternehmen ein anderes kontrolliert, bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen; eine Kontrolle kann faktisch auch durch wirtschaftliche Machtausübung erfolgen;
b. Die Unternehmen sind zu einer angemessenen Sorgfaltsprüfung verpflichtet; sie sind namentlich verpflichtet, die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen auf die international anerkannten Menschenrechte und die Umwelt zu ermitteln, geeignete Massnahmen zur Verhütung von Verletzungen international anerkannter Menschenrechte und internationaler Umweltstandards zu ergreifen, bestehende Verletzungen zu beenden und Rechenschaft über ergriffene Massnahmen abzulegen; diese Pflichten gelten in Bezug auf kontrollierte Unternehmen sowie auf sämtliche Geschäftsbeziehungen; der Umfang dieser Sorgfaltsprüfungen ist abhängig von den Risiken in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt; bei der Regelung der Sorgfaltsprüfungspflicht nimmt der Gesetzgeber Rücksicht auf die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen, die geringe derartige Risiken aufweisen;
c. Die Unternehmen haften auch für den Schaden, den durch sie kontrollierte Unternehmen aufgrund der Verletzung von international anerkannten Menschenrechten oder internationalen Umweltstandards in Ausübung ihrer geschäftlichen Verrichtung verursacht haben; sie haften dann nicht nach dieser Bestimmung, wenn sie beweisen, dass sie alle gebotene Sorgfalt gemäss Buchstabe b angewendet haben, um den Schaden zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre;
d. Die gestützt auf die Grundsätze nach den Buchstaben a–c erlassenen Bestimmungen gelten unabhängig vom durch das internationale Privatrecht bezeichneten Recht.