Das Schweizer Stimmvolk hat die Konzernverantwortungsinitiative im November 2020 sehr knapp verworfen. Unser Interesse und unser Empfinden sind geschärft worden durch die Debatte rund um die Konzernverantwortungsinitiative. Uns allen ist klar, dass das Thema Verantwortung im Umgang mit Menschen, Bevölkerungen, Produktionsstätten und Lieferketten im globalen Süden nicht vom Tisch ist. In andern europäischen Ländern wird an Gesetzen und Regeln gearbeitet, welche hiesige Konzerne in die Verantwortung nehmen sollen.
In Deutschland ist das sogenannte Lieferkettengesetz in Arbeit. Da sind eine ganze Anzahl Hilfswerke und Entwicklungsorganisationen, sowie Gruppen im Bereich fairer Handel engagiert.
Im Februar 2021 haben sich ein paar Leute aus mennonitischen Kreisen in einer Online-Konferenz zusammengefunden, um der Doctrine of Discovery (DofD) auf den Nerv zu fühlen. Hierzulande weitgehend unbekannt, ist die DofD in Nordamerika seit einigen Jahren ein Thema, insbesondere wo es um Rohstoffausbeutung geht, wie z.B. Edelmettalle.
Der Sachverhalt ist relativ einfach: Westliche (europäische oder nordamerikanische) Unternehmen betreiben in Ländern Südamerikas, Asiens und Afrikas Einrichtungen, welche wichtige Roh- oder Edelstoffe abbauen und in Umlauf bringen. Sie beschaffen für die Bewohner der reichen Länder wertvolle wenn nicht unentbehrliche Materialien – und Wertschöpfung, sprich Geld. Wie es der Film Konzern-Report eindrücklich zeigt, geht dieser Vorgang nicht selten auf Kosten von Gesundheit und Wohlbefinden der lokalen Bevölkerung. Diese hat in der Regel wenig oder nichts zu sagen und wird vorgängig auch nicht gefragt. Ihr Einverständnis zum Rohstoffabbau geben die meisten Regierungen des Südens leicht, zumal ihnen im Gegenzug Vorteile oder Güter angeboten werden. Public Eye bereitet diese Sachverhalte in kompetenter Art und Weise in konkreten Fallstudien auf zur Bewusstmachung und Fürsprache.
Zurück zur Doctrine of Discovery: Der Grund, weshalb die „Lehre der Entdeckung“ in Nordamerika präsenter ist als in Europa, liegt in einem Entscheid des obersten Gerichtshofs der USA im Jahre 1823, der sog. Johnson vs. McIntosh Entscheid. Dieser bestätigt das Prinzip der Souveränität der USA über ihr gesamtes Territorium aufgrund des Rechts auf Entdeckung, welches europäische Einwanderer haben und welches dem dem Recht auf Besetzung des Landes durch indigene Bewohner übergeordnet ist. (siehe Story unten) In der Folge annullierten die USA sämtliche Urkunden von Grundstücken, welche im Besitz von Indigenen waren.
Die DofD ihrerseits wird auf eine Bulle aus dem Jahr 1455 von Papst Nikolaus V zurückgeführt. Dieser gab damit sein ausdrückliches Einverständnis zur Ausbeutung von indigenen Bevölkerungen und auch zur ihrer Versklavung. Diese päpstliche Bulle stellt gewissermassen das erste Gesetz internationalen Rechts dar. Sie öffnete der Kolonialisierung Tür und Tor. Die Europäer haben Amerika ab 1492 mit genau dieser als selbstverständlich geltenden Weltanschauung erobert und sich unterworfen. Die Doctrine of Discovery ist nicht nur die übernommene Lehre der Entdeckung, sondern die Selbstverständlichkeit der Unterwerfung und Aubeutung. Die Kolinialisierung wäre ohne diese Gangart nicht möglich gewesen.
Hinter dem Verhalten von europäischen und nordamerikanischen Konzernen im globale Süden steckt nicht bloss Gier, sondern der in Europa weit verbreitete und als gewissenmassen normal geltende Eurozentrismus, welcher davon ausgeht, dass es ihm wegen seiner (früher ethnisch-moralischen und heute historischen und wirtschaftlichen) Überlegenheit zusteht, ganze Gebiete irgenwo zu erschliessen und deren Rohstoffe zu gewinnen.
Ein Faktor in dieser Geschichte liegt auch in der Welt-Geschichtsschreibung, welche überwiegend aus europäischer Perspektive geleistet wurde, also aus der Perspektive der kolonialen Eroberer.
Nun gibt es in Nordamerika seit einigen Jahren eine Bewegung, welche sich zum Ziel gesetzt hat, die Doctrine of Discovery zu demontieren: Dismantling the Doctrine of Discovery. Dass eine solch tief sitzende und weit verbreitete Mentalität nicht über Nacht aus der Welt geschafft werden kann ist klar.
Im Jahre 2013 kam Sarah Augustine nach Europa, wo sie mit Jaap Schiere aus den Niederlanden Kontakt suchte mit kirchlichen und ökumenischen Stellen, um das Anliegen einer internationalen Vernetzung rund um die Demontage der Doctrine of Discovery zu verbreiten. Das online-Treffen verschiedener europäischer und nordamerikanischer Mennoniten im Februar 2021 geht in die gleiche Richtung und versucht, diese Anstrengungen mit denjenigen der Liefertettengesezte und der Konzernverantwortung in verschiednen Ländern zu verbinden- und sie unter Mennoniten bekannt zu machen.
Im Jahre 1773 kaufte Thomas Johnson vom indigenen Stamm Piankeshaw (Illinois) ein Stück Land. McIntosh erwarb irgendwann dasselbe Stück Land von der US-Regierung und bewohnte/bebaute es. Nun wollten die Nachfahren Johnsons McIntosh weg haben und zogen den Fall bis vors Bundesgericht. Dieses entschied, dass die Urkunde von Thomas ungültig sei. Begründung: Indigene können keine „absoluten“ Besitzansprüche geltend machen. In der Folge wurden sämtliche Besitzurkunden von Indigenene durch die Regierung der USA annuliert.
Weiterführende Links:
Brot für die Welt (Lieferkettengesetz in Deutschland)
Die Kirche und der Kolonialismus (eine kritische und detaillierte Auseinandersetzung, welche die Aussage, wonach die Kirche den Kolonialismus verschulde relativiert und als staatliches Projekt darstellt.)