Wort gegen Krieg

von Hansuli John Gerber – Christen lieben den Einstieg des Johannesevangeliums: Im Anfang war das Wort. Das Wort, von dem die Rede ist, ist Wahrheit, Licht, Geist, Kraft. Mit den Massenmedien und noch mehr mit den sozialen Medien, haben sich menschliche Worte vervielfacht, sind aufgeblasen, absurd, irreführend, zerstörerisch oder einfach leer geworden. Das wird besonders sichtbar in der verhängnisvollen Entwicklung des Überfalls auf die Ukraine. Worte spielen eine herausragende Rolle.

Wir müssen uns darüber im Klaren bleiben, dass Worte, auch wenn deren zu viele sind und viele leer scheinen, ihre Bedeutung haben. Sie geben Auskunft über unseren Geist, unsere Vorstellungen, unsere Täuschungen und Mythen.

In der Politik sind Worte oft und bewusst täuschend. Sie dienen der Manipulation. Bekanntlich ist die Wahrheit das erste Opfer des Kriegs.

Etwas aber wird in der jetzigen Situation klar: Wir sind immer wieder unpräzis, um nicht zu sagen: unaufrichtig, wenn wir von Krieg reden. So sagen wir: “Der Krieg ist ausgebrochen”. Oder “Es ist Krieg”. Ein Krieg bricht aber nicht einfach aus. Es ist nicht einfach Krieg. Ein Gewitter bricht aus, oder ein Sturm. Es ist schönes Wetter oder schlechtes Wetter. Ein Krieg wird durch Aufrüstung möglich gemacht, vorbereitet, geplant und vom Zaun gerissen. Da sind nicht Naturkräfte im Spiel wie beim Wetter, über das Menschen nicht befehlen und das sie nicht beherrschen können. Ein Krieg ist von (meist einigen wenigen) Menschen gewollt, von (mehr) Menschen vorbereitet, von (einzelnen) Menschen beschlossen, von (noch mehr) Menschen organisiert, von tausenden Menschen bestritten und von unzähligen Menschen, Kindern, Frauen, Männern, erlitten. Da gibt es eine Hierarchie, deren Spitze den Sinn für Menschlichkeit verloren hat und unzugänglich ist, deren Mitte unflexibel weil bevorteilt ist und deren Masse (fast) ohnmächtig ist. In jedem Fall ist Krieg von Menschen angeblich für, aber in Wahrheit gegen Menschen gemacht. Darin sind sich alle Kriege gleich und werden von einer und derselben Rüstungsmaschinerie befeuert mit ungeheuerlichen Mengen an Geld, das anderswo dringend not tut.

Diese Woche fiel mir wieder auf: Wenn man denkt, Krieg breche aus, als sei es ein Unwetter, dann ist es logisch, nach mehr Rüstung zu verlangen. Denn schliesslich muss man gewappnet sein für etwas, das relativ unberechenbar und kaum vorhersehbar ausbricht – wie eben ein Gewitter. Wenn Krieg aber bewusst vorbereitet und vom Zaun gerissen wird, dann bewirkt mehr Rüstung, dass er nicht nur stattfindet, sondern dass er extrem wird. Je mehr Rüstung, desto mehr und länger wird Gewalt und Zerstörung herrschen. Wie Clausewitz (der “Vater des modernen Kriegs”) und nach ihm René Girard gezeigt hat, haben es Kriege in sich, ins grenzenlos Extreme zu gehen. Das aber ist im atomaren Zeitalter auf totale Zerstörung hin ausgelegt. Deshalb ist, um Krieg einzudämmen und Frieden zu erhalten, nicht mehr, sondern weniger Rüstung unabdingbar. Solange politische Spitzen und Büro- und Technokraten das nicht einsehen und solange wir einfache Leute glauben, Krieg sei wie eine Naturkraft, wird es schwierig sein, Krieg zu ächten und den militärisch-industriellen Komplex zurück zu fahren. Denn da gibt es zu viel Geld zu verdienen und zu viel Macht zu erhalten und zu erweitern.

Jesus wusste um den Teufelskreis der Gewalt. Ebenso machte er sich auch keine Illusionen über die Herrschenden dieser Welt. Die gegenwärtigen Ereignisse in Europa zeigen, dass wir und unsere Kirchen immer noch am Buchstabieren sind, uns immer noch/wieder täuschen lassen. Doch es gibt Fortschritte: In Russland, wo Demos verboten sind und Dissidenz unterdrückt wird, gehen dennoch Tausende auf die Strassen. Immer mehr Menschen auf der ganzen Welt versprechen sich nichts Gutes vom Krieg, denn sie haben das verheerende Spiel durchschaut: Krieg ist nicht nur keine Lösung, Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit und zerstört die Menschlichkeit. Es gibt keinen guten Krieg, keinen wahrhaftigen und noch weniger gibt es einen ehrwürdigen Krieg. Krieg besteht aus Lügen, Täuschung, Gewalt und Zerstörung. Soll der Krieg mit noch mehr Krieg bekämpft werden? Wir müssen mehr darüber reden, was wir den Vorbereitungen, der Propaganda und der Doktrin des Krieges entgegenstellen können, an Worten und an Taten, welche inspiriert sind von dem einen Wort, welches am Anfang war.

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