Im Januar 2024 erschien in Frankreich ein Buch, dessen Titel symptomatisch ist: Notre guerre (Unser Krieg) von Nicolas Tenzer. Tenzer ist Historiker und lehrt Politikwissenschaft in Paris. Er hatte zu der Sowietunion und zu Russland geforscht. Im Hinblick auf den Krieg in Syrien sagte er, was wir ohne weiteres nachvollziehen können: Das Regime von Bachir el-Assad und seine russischen Verbündeten führen «einen Auslöschungskrieg» und zeigen «einen Willen, alle zu umzubringen. Alles zu töten was getötet werden kann».
Eskalation zugunsten Europas?
Man kann den Krieg gegen die Ukraine wohl als einen Krieg gegen den Westen bezeichnen. Angesichts der bekannten Tatsache, dass Putin alles was westlich ist verteufelt gibt dazu Anlass. Wir wissen allerdings, dass weder die Nato noch die EU und die USA unschuldige Engel sind. In jedem Krieg wird behauptet, es gehe um das Gute gegen das Böse. Tenzer ruft auf mehreren Kanälen die westlichen Staaten auf, ihre Wirtschaft in eine Kriegswirtschaft und ihre Diplomatie in eine Kriegsdiplomatie umzukrempeln und die Eskalation zu fördern. In diesem Licht ist die Aussage von Macron, dass nichts ausgeschlossen sei (bzw. westliche Truppen in der Ukraine) zu verstehen. Unüberlegt und brandstiftend war sie allemal. Sollte eine gewollte und kontrollierte Eskalation allenfalls Europa, der Demokratie und den Menschenrechten zuhilfe kommen gegen die russisch-imperialistische Bedrohung? Das alles ist jenseits der Frage ob und wie der ukrainischen Bevölkerung geholfen werden kann.
Was sagen wir, die wir bekanntlich im Erbe und in der Verpflichtung der pazifistischen Täufer stehen dazu? Die sozialen Medien schrumpfen alles auf Schlagworte und Satzfragmente zusammen. Wo es Argumente, Hintergründe und vor allem Dialog braucht, sind Social Media bestenfalls wenig hilfreich und schlimmstenfalls Öl aufs Feuer. Polarisierung lebt von Triggerworten und X, Facebook u.a. leben davon.
Krieg bleibt Krieg.
Dass das erste Opfer des Kriegs die Wahrheit ist, ist eine Binsenwahrheit. Jeder Krieg, sei er Angriff oder Verteidigung, fordert unausweichlich enorme Opfer und verlangt absolute Loyalität. Da werden Menschenrechte und Demokratie, Freiheit und Transparenz mit Gewalt, von Stiefeln bis high-tech, und mit Grausamkeit, misshandelt und zertrampelt. Sobald Krieg ist, werden Menschenrechte – allen voran das internationale Recht auf Militärdienstverweigerung – ausgehebelt. Der sogenannte Vater des modernen Kriegs, Clausewitz hat gewarnt (bevor es Atomwaffen gab): Der Krieg steigert sich naturgemäss und unweigerlich ins Extreme. Dieses Extreme ist heute noch unmenschlicher und unkontrollierbarer als zu Beginn des 20. Jahrunderts. Moderne Waffen machen den Krieg nicht effizienter, sondern zerstörerischer, grausamer und länger. Also unmenschlicher.
Der wahrhaftige Feind Europas und der Demokratie ist nicht Russland, auch nicht die BRICs (Brasilien, Russland, Indien, China) sondern der wahre Feind ist der Krieg. Daran halten wir fest, nicht aus ideologischen Gründen, nicht weil Europa, die Nato und die USA auch nicht durchwegs glaubwürdig und keine Engel wären – auch wenn sie Engel wären und ihr Territorium das Paradies, würden wir uns weigern in den Krieg zu ziehen -, sondern weil Krieg die falsche Antwort ist und ein Krieg wie er im 21. Jahrhundert geführt wird, nicht gewonnen werden kann. Vielmehr wird er alles zerstören was sich ihm in den Weg stellt und Schrecken und Tod hinterlassen.
Deshalb sagen wir „Nein zum Krieg“ und „nicht in unserem Namen“. Denn auch wenn es vordergründig um Freiheit und Demokratie geht, so ist das, was unser Profet und Heiland vor 2000 Jahren feststellte, auch heute nicht weniger zutreffend: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Grossen ihre Macht gegen sie einsetzen. Der Umstand, dass wir heute mehr oder weniger demokratisch unterwegs sind, ändert daran grundsätzlich nichts. Die (kleine) Macht korrumpiert (ein wenig) und die absolute Macht korrumpiert absolut. Menschliche Einrichtungen sind bestenfalls anfällig, immer unperfekt und eh vergänglich. Das ist im Westen nicht anders als im Osten, im Norden nicht weniger als im Süden. Das wussten die Täufer aus eigener Erfahrung und ihre Skepsis gegenüber Einrichtungen der Macht stand in direktem Zusammenhang mit der Aussage „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit“ – alles Dinge, wonach die weltliche und wirtschaftliche Macht strebt. Für seine Freunde sterben ist würdig und liebevoll. Für einen Machtapparat sterben ist eitel und unnötig.
So ist denn Pazifismus nicht zu trennen von Machtskepsis und Menschenfreundlichkeit. Dass wir in Europa Angst haben vor dem unweigerlichen Verlust unserer Vorherrschaft ist naheliegend. Doch darf dies kein Grund sein, Krieg zu führen. Unsere Hoffnung liegt anderswo.