Bericht vom Studientag „Menschenrechte und christlicher Glaube“ vom 18. November 2017 in Biel-Madretsch

Samuel Cacciabue, TFFG

Am 18. November hat das Täuferische Forum für Frieden und Gerechtigkeit (TFFG), in Zusammenarbeit mit den reformierten und katholischen Kirchgemeinden von Biel, einen Studientag unter dem Thema „Menschenrechte und christlicher Glaube“ durchgeführt. Mit grossem Engagement haben die Referentinnen und Referenten im Lauf der Tagung das Thema der Menschenrechte aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Daraus habe ich das folgende Fazit gezogen: Die Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeit und nicht von jeher in unseren Genen verankert. Vielmehr sind sie das Ergebnis eines langen und mühsamen Prozesses und bleiben auch heute verwundbar. Es ist unsere Verantwortung, sie zu schützen und ihnen Geltung zu verschaffen – auch in der Schweiz!

Zur Schlussmitteilung der Tagung

Geschichtliche Aspekte

In ihrem Einführungsreferat hat die täuferische Theologin Dorothea Loosli auf die verschiedenen Stationen hingewiesen, die zur Erklärung der Menschenrechte geführt haben. Dabei spielte der englische Täufer R. Overton eine wichtige Rolle: Im Rahmen der englischen Revolution formulierte er bereits 1647 ein erstes allgemein gültiges Manifest der Menschenrechte. – Zum Vortrag von Dorothea Loosli „Menschenrechte und läuferischer Glaube“  – Zur Präsentation

Biblisch-theologische Perspektive

Anhand von 15 Thesen ging der Theologieprofessor Pierre Bühler auf den biblisch-theologischen Aspekt dieser Frage ein, wobei er aufzeigte, wie widersprüchlich die Aussagen der Bibel zu diesem Thema sind. Gewisse Texte stehen in völligem Widerspruch zu den ethischen Werten, auf denen heute die Menschenrechte beruhen, so z. B. die Gewalt gegen die „Gottlosen“ oder Aufrufe zur Vernichtung fremder Völker. Andere hingegen weisen in eine ganz andere Richtung und gehen sogar über unser heutiges Rechtsverständnis hinaus, wie etwa die Aufforderung Jesu, unsere Feinde zu lieben.

Historisch gesehen, so Pierre Bühler, berief sich die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 noch klar auf die Schöpfungstheologie. In der Französischen Revolution bezog man sich noch vage auf eine höhere Macht, während die heutigen Menschenrechtserklärungen ganz ohne religiöse Bezüge auskommen. Und doch sind es nicht wir Menschen allein, die über die Menschenrechte verfügen können.

Zum Vortrag von Pierre Bühler „Grundlagen der Menschenrechte – eine biblisch-theologische Annäherung“

Eine theologisch-feministische Vision

Die Theologin Doris Strahm ergänzte dieses Referat mit einem Beitrag zu den Menschenrechten aus einer feministischen Perspektive. Dabei wies sie darauf hin, dass die Frauen immer besonders darum kämpfen mussten, dass auch ihre Rechte anerkannt wurden. Dabei spielen aus theologischer Sicht der Schöpfungsbericht im Buch Genesis und die Aussagen zur christlichen Gemeinschaft in Galater 3 eine besondere Rolle. Heute haben feministische Theologinnen ein weit gespanntes Netzwerk aufgebaut; sie beteiligen sich aktiv an kontextuellen Interpretationen der Bibeltexte mit dem Ziel, die Stellung der Frau in der Gesellschaft aufzuwerten und ihre Rechte zu schützen.

Zum Vortrag von Doris Strahm „Frauenrechte als Prüfstein: Menschenrechte aus feministisch-theologischer Sicht

Menschenrechte aus juristischer Sicht

Die Lausanner Völkerrechtsprofessorin Evelyne Schmid brachte zunächst eine Klärung der juristischen Begriffe in die Diskussion ein. Im Speziellen erläuterte sie die Entstehungsgeschichte der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Funktionsweise des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Dies ist vor allem wichtig im Blick auf die Debatte um die SVP-Initiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“ (Selbstbestimmunginitiative) und ihre möglichen Konsequenzen für die Schweiz.

Zum Vortrag von Prof. E. Schmid „Menschenrechte aus juristischer Sicht“

Menschenrechte sind auch Flüchtlingsrechte

Nach der Mittagspause befasste sich der Jesuitenpater Christoph Albrecht, der in der Flüchtlingsseelsorge engagiert ist, mit dem Thema der Rechtssituation insbesondere der Asylbewerber/innen. Er stellte fest, dass eine Grenze der Anerkennung der Menschenrechte oft dort erreicht wird, wo sie Menschen im Verlauf eines Verfahrens verweigert werden. Das Referat zeigte deutlich auf, wie sehr unsere Institutionen im Begriffe sind, sich bezüglich der Aufnahme von Flüchtlingen von der Menschenrechtstradition unseres Landes zu entfernen.

Zum Vortrag von Christoph Albrecht „Menschenrechte im Umgang mit Flüchtlingen in der Schweiz“

Menschenrechte – ein Lernprozess

Einen eindrücklichen Schlussakzent setzte der in der Schweiz lebende türkische Menschenrechtsaktivist Ramazan Özgü, dessen beruflicher Schwerpunkt der interreligiöse Dialog ist.

Er wies auf die grosse Bedeutung der friedlichen Beilegung von Konflikten und die Auseinandersetzung mit der nationalen Vergangenheit hin. Zurzeit geht die türkische Regierung mit aller Härte gegen Regimegegner und Menschenrechtsaktivisten vor. Trotz allem setzt Özgü auf jene Kräfte in seinem Land, welche an die Versöhnung glauben und sich dafür einsetzen.

Die Menschen in der Schweiz rief er dazu auf, vermehrt ihre „Komfortzone“ zu verlassen und jene zu unterstützen, die sich auch unter persönlichen Risiken für die Menschenrechte einsetzen.

Natürlich ist diese knappe Zusammenfassung des Studientages mit seiner Fülle von Informationen, Fragestellungen und Diskussionen zwangsläufig unvollständig. Aber sicher hat er sein Ziel erreicht, die Anwesenden dazu zu ermutigen, sich stärker mit den Fragen der Menschenrechten in der Schweiz auseinanderzusetzen, auch im Blick auf die kommende Volksabstimmung zu diesem Thema.

Zum Bericht des Workshops

(30.11.17. Übersetzung SB)