Oscar Suárez lebt in Kolumbien und ist Mennonit. Im Gespräch mit CIVIVA-Vorstand Lukas Sägesser berichtet er von seiner Verweigerung aus Gewissensgründen und vom «Sozialen Dienst für den Frieden», einer zivilen Alternative zum Militärdienst.
Weshalb hast du den Militärdienst verweigert?
In meiner Kirche lernte ich viel über mennonitische Theologie und Gewaltfreiheit. Dadurch lernte ich, dass Gewalt nicht der richtige Weg ist, um irgendeinen Konflikt zu lösen. Im Militär ist es unvermeidbar, anderen weh zu tun, vor allem im kolumbianischen Kontext. Seit über 60 Jahren haben wir einen inneren Konflikt. Nicht nur mit den Guerillas, sondern auch mit den Drogenkartellen und anderen kriminellen Organisationen. Die mennonitische Theologie lehrte mich die Werte der Nächstenliebe und der Versöhnung. Deshalb wollte ich keine Waffen zur Verteidigung einsetzen oder eine Uniform tragen.
Wann hast du verweigert?
Ab dem Jahr 2011 erklärte ich mich zum Militärdienstverweigerer. Ich war damals erst sechzehn Jahre alt und noch in der Schule. Ich war also noch minderjährig, aber die Schule und das Militär respektierten das Gesetz nicht. Die Schule schickte alle Schüler der letzten Klasse zu den Tauglichkeitsuntersuchungen. Als ich den Militärs sagte, dass ich verweigern wollte, wurde ich ignoriert. Im Wissen, dass ich noch minderjährig war, führten sie die medizinischen Untersuchungen an mir durch, was beinhaltete, dass ich mich vor vielen Leuten nackt auszog. Wie gesagt, ich war noch ein Kind.
Wie ging es danach weiter?
Es gab damals keinen offiziellen Prozess, den ich befolgen konnte, um zu verweigern. Ich ging mehrere Male zu Militärstützpunkten, um meinen Militärstatus zu klären und mein Leben weiterzuführen, ohne dem Militär beizutreten. Das zweite Mal war, als ich 18 Jahre alt wurde. Das Militär kontrollierte auf der Strasse die Ausweise von jungen Leuten. Allen Volljährigen, die noch keinen Militärdienst geleistet hatten, gaben sie Vorladungen für die Aushebung. Ich meldete mich freiwillig für eine Vorladung. Als ich aber hinging und meine Verweigerung erklärte, ignorierten sie meinen Antrag. Da ich noch Student war, schoben sie meine Aushebung auf. Dies geschah noch drei Mal in den folgenden zwei Jahren.
Damals ging das Militär auch regelmässig in die Quartiere und an Orte, wo sich viele junge Leute treffen, wie zum Beispiel Universitäten und Parks und kontrollierten dort die Militärausweise. Wer diese Bescheinigung seiner Diensterfüllung nicht vorweisen konnte, der wurde zum Militärstützpunkt mitgenommen, manchmal auch ohne ihre eigene Familie informieren zu können. Mir passierte das auch einmal, als ich auf dem Weg zum Flughafen war für meine erste Auslandsreise nach Bolivien, an ein internationales mennonitisches Treffen. Sie hielten meinen Bus an und nahmen mich zu ihrem Stützpunkt mit. Das war zwar illegal, aber sie kümmerten sich nicht darum. Nach 2016 begannen sie damit, mehr reguläre Vorladungen auszuteilen und beendeten diese Razzia-Praktiken. Aber manchmal höre ich immer noch von solchen Fällen, vor allem in sehr armen Gegenden.
Was waren die Folgen deiner Verweigerung?
Die gesetzliche Situation diesbezüglich war unklar. Allerdings konnte man ohne einen Militärausweis keinen Universitätsabschluss machen oder einen Job bekommen, weder beim Staat noch bei Privatunternehmen. Ich kannte viele Militärdienst-Verweigerer, die ihr Studium absolviert hatten, aber keinen Abschluss erhielten. Ich stellte mich auf so etwas ein, aber fühlte mich natürlich verunsichert durch die ungewisse Zukunft. Glücklicherweise änderte sich vor Ende meines Studiums das Gesetz und ich bekam meinen Abschluss und einen Job.
Unterstützte dein Umfeld deine Entscheidung?
Meine Kirche stand immer hinter mir, genauso meine Kernfamilie und engen Freunde. Gewisse Verwandte betrachteten mich jedoch als jemanden, der seine Familie oder sein Land nicht liebt. Ausserdem verlor ich manche Freunde. In der Schule hatten wir Pläne gemacht, zusammen zum Militär zu gehen. In meinem Umfeld war das normal. Es musste Teil unserer Lebenspläne sein, es gehörte zum Denken jedes Jungen. Es war eine kulturelle Prägung in Verbindung mit sexistischen Vorstellungen wie: «Wenn du nicht Dienst leistest, wirst du nie ein richtiger Mann!», oder: «Als Mann musst du deine Familie und dein Land beschützen.»
In Kolumbien läuft jetzt ein Projekt für eine Alternative zum Militärdienst, den «Sozialen Dienst für den Frieden». Was denkst du darüber?
Das ist ein Projekt, an dem wir seit 2015 oder sogar schon länger arbeiten. Ich kann mich an Treffen mit Kongressabgeordneten erinnern, bei denen wir um Unterstützung baten. «Justapaz», ein Sozialwerk der Mennoniten, war beteiligt an diesem Prozess. Alles begann besser zu werden – oder mindestens gab es mir Hoffnung, dass die Regierung das Friedensabkommen mit der grössten Guerilla unterzeichnete [2016 mit der FARC, Anm. d. Red.]. Danach begannen sich viele Dinge zu ändern. 2017 verabschiedete der Kongress ein Gesetz, welches Militärdienstverweigerung legalisierte. Es wurde ein Prozess eingeführt, der es vielen jungen Leuten erlaubte, ihren militärischen Status zu klären, ohne ins Militär zu gehen. Man muss dem Militär Dokumente liefern, die beweisen, dass man schon seit Jahren gewaltlos ist, wie zum Beispiele Schulberichte oder Bestätigungen von Arbeitgebern oder Kirchen. Dann muss man vor einer Art Militärgericht seine Gründe erklären. Die Militärs entscheiden, ob du genug Gewissensgründe hast, um als Verweigerer anerkannt zu werden.
Ich bin sehr glücklich über das neue Gesetz zum alternativen Dienst. Es müssen aber noch viele Schritte getan werden, damit es dann auch Realität wird. Die Finanzierung ist noch nicht geklärt. Es sieht aus, als gäbe es noch kein Budget dafür. Aber es ist ein grosser Schritt und wir werden sehen, was in den nächsten Monaten daraus wird. Viele Organisationen und Leute setzen sich dafür ein, dass es Realität wird.
Kennst du Leute, die vorhaben, an diesem Dienst teilzunehmen?
Viele Leute gehen davon aus, dass es funktionieren wird. Manche meiner Freunde sind schon bereit, sich zu bewerben, sobald sie können. Andere Freunde wollen den jungen Leuten bei der Bewerbung helfen.
Gut zu wissen
Die Mennoniten sind eine Freikirche und Teil der Täuferbewegung. Diese spaltete sich vor genau 500 Jahren in Zürich von der Reformationsbewegung ab. Wegen ihrer Tradition der Gewaltlosigkeit gelten die Mennoniten als eine der historischen Friedenskirchen. Viele Mennoniten lehnen den Militärdienst ab. In der Schweiz waren die Mennoniten beteiligt an der Einführung des Zivildienstes.
Aus dem Magazin Monde Civil 1/2025, mit freundlicher Genehmigung