Den Blick auf die nicht-menschliche Schöpfung ändern

David Nussbaumer ist vor kurzem zum Täuferischen Forum für Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfung gestossen. Er bringt eine Internationale Perspektive mit, da er Mitglied ist in der Arbeitsgruppe der Mennonitischen Weltkonferenz (MWK) für die Bewahrung der Schöpfung. Wir haben David gebeten, sich kurz vorzustellen und etwas über sein Engagement und seine Herausforderungen zu sagen.

Kannst du dich in wenigen Worten vorstellen?

Ich bin französisch-schweizerisch, verheiratet und habe drei Kinder. Ich lebe mit meiner Familie im Südelsass und besuche die Mennonitenkirche in Altkirch. Ich habe Wasser- und Umweltingenieurwesen mit Schwerpunkt Wasser und Sanitärversorgung in Kontexten der humanitären Entwicklung und Nothilfe in England und Sambia studiert. Danach arbeiteten meine Frau Aline und ich sieben Jahre lang für die Organisation A Rocha France in der Domaine des Courmettes, einem Zentrum zur Erforschung der Biodiversität und zur Umwelterziehung. Außerdem haben wir am Regent College (Vancouver) Theologie studiert, mit einem starken Interesse an sozialer und ökologischer Gerechtigkeit. Als leidenschaftlicher Naturalist verbringe ich viel Zeit damit, nicht-menschliche Kreaturen (Vögel, Schmetterlinge, Reptilien, Orchideen usw.) zu beobachten und zu identifizieren. Seit 2022 bin ich der Europa-Vertreter in der Arbeitsgruppe für den Schutz der Schöpfung der Mennonitischen Weltkonferenz und in dieser Funktion trete ich nun dem Täuferischen Forum für Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfung bei.

Welche Perspektiven siehst du im Zusammenhang mit der Klima- und Biodiversitätskrise?

Wenn man sich sieht, was in der Welt passiert, sind die Aussichten nicht gut. Ich denke jedoch, dass wir in Jesus Christus sowohl eine Hoffnung haben, die uns nicht alarmiert oder entmutigt, als auch ein Beispiel, das uns zum Handeln anregt. Ich möchte hier einige meiner derzeitigen Überlegungen mitteilen:
Erstens scheint es mir notwendig, dass wir unseren Blick auf die nicht-menschliche Schöpfung ändern. Die natürliche Welt existiert nicht für die Menschen. Sie ist nicht in erster Linie eine Ansammlung von Ressourcen, die es uns ermöglichen, uns auf Kosten anderer Kreaturen zu entwickeln. Eine biblische Perspektive weist uns darauf hin, dass die Welt für Jesus Christus geschaffen wurde und Gott gehört. Wir sind gemeinsam mit den anderen Lebewesen Mitgeschöpfe, die geschaffen wurden, um Gott zu loben. Wir haben zwar einen besonderen Status und eine besondere Rolle, aber diese liegen dennoch eher in der Verantwortung, sich um die anderen Geschöpfe zu kümmern, nach dem Vorbild Gottes, der sich um seine gesamte Schöpfung kümmert.

Zweitens: Der Gott der Bibel verteidigt die Schwachen, „die Witwe und die Waisen“. In der aktuellen politischen Lage auf anderen Kontinenten, aber auch bei uns, steigt die Popularität starker (Männer), die ihre Macht missbrauchen, um das zu bekommen, was sie wollen. Was für ein schönes Zeugnis ist es, heute in der Nachfolge Jesu für arme und unterdrückte Menschen einzutreten und sich für ihre Rechte einzusetzen. Ich schlage vor, diesem die Verteidigung der vom Aussterben bedrohten nichtmenschlichen Arten und der ausgebeuteten Naturräume hinzuzufügen, wenn auch vielleicht in geringerem Maße, auch als Einsatz für den Schalom der Herrschaft Gottes.

Drittens halte ich es für notwendig, dass die reichsten Bevölkerungsgruppen den ökologischen Wandel, die Anpassung an den Klimawandel und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt für die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen finanzieren. Das wäre keine Wohltätigkeit, sondern ein Akt der Gerechtigkeit. Wie die COP29 in Baku gezeigt hat, ist dies ein sehr sensibles Thema, da die westlichen Regierungen nur ungern das Wirtschaftswachstum ihrer Nationen einschränken. Wird ein reiches Land den Mut haben, auf einen Teil seines Komforts zu verzichten, um das zu tun, was gerecht ist? In einem viel kleineren Maßstab wird die Mennonitische Weltkonferenz demnächst Zuschüsse für Mitgliedskirchen in Afrika, Asien oder Lateinamerika anbieten, die ein Projekt zur Bewahrung der Schöpfung aufbauen wollen.

Was sind deine Dilemmas und Fragestellungen im Moment?

Eine sehr große Frage! Manchmal habe ich den Eindruck, dass mein Leben ein ständiges Dilemma ist: Der CO2-Fußabdruck, als französischer Staatsbürger in Frankreich zu leben und alle öffentlichen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, scheint für das Klima bereits zu hoch zu sein. Ich gehöre zu den Bevölkerungsgruppen, die dafür sorgen, dass wir derzeit sechs der neun planetaren Grenzwerte überschreiten, die vom Stockholm Resilience Centre untersucht wurden. Sollte ich deshalb aus diesem Kontext aussteigen, mit den sozialen und familiären Folgen, die das hätte? Und was würde sich dadurch ändern? Sollte man sich nicht vielmehr daran beteiligen, das „System“ von innen heraus weiterzuentwickeln? Während ich dort handle, wo ich kann (oder zumindest bereit bin, es zu tun!), nähren die Praktiken des Klagens und der Buße meinen Dialog mit Gott über meinen Konsum und meinen Fußabdruck auf diesem Planeten.

Zweitens stelle ich mit Traurigkeit eine Zunahme des Gegensatzes zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz fest, zumindest in Frankreich (ich weiß nicht, ob das in der Schweiz auch so ist?). Umweltstandards werden beschuldigt, die Hauptlast der Landwirte zu sein. Ich frage mich jedoch, ob das Problem nicht eher in der viel zu niedrigen Vergütung im Vergleich zu dem Dienst, den die Landwirte für die Gesellschaft leisten, liegt. Ist die Last der Landwirtschaft nicht vielmehr das Agrobusiness? Wenn man die niedrigen Preise einiger Supermarktketten und die von ihnen ausgewiesenen Gewinnspannen sieht, drängt sich diese Frage auf. Werden die Verbraucher bereit sein, mehr zu zahlen, wenn sie ihre Lebensmittel verstärkt über kurze Wege beziehen?

Schließlich frage ich mich auch, wie man am besten über die Klima- und Biodiversitätskrise sprechen kann. Wenn man viel Zeit damit verbringt, Zahlen und Fakten zu teilen (z. B. Bilder von den Bränden in Los Angeles oder den Überschwemmungen in Valencia), besteht die Gefahr, dass man Entmutigung, Angst oder Verleugnung auslöst. Wenn umgekehrt nur die Schönheit der Natur hervorgehoben wird, besteht die Gefahr, dass das Ausmaß der Krise heruntergespielt wird. Es ist nicht leicht, das Gleichgewicht zu finden, und eindeutig tendiert meine Natürlichkeit zu der ersten Option. Ein Weg, den ich kürzlich entdeckt habe und den ich erforschen möchte, ist, die meiste Zeit damit zu verbringen, über Lösungen oder Handlungsmöglichkeiten zu sprechen. Ich denke also darüber nach, wie ich das in meinen nächsten Beiträgen oder Diskussionen besser einbauen kann: mit einer klaren, aber kurzen Feststellung beginnen, dann Beispiele dafür erkunden, was andere tun, und schließlich konkrete und realistische Maßnahmen auflisten, wobei ich in Bezug auf die Grenzen ehrlich bin. Ich hoffe, dass dies ein begeistertes Engagement hervorruft!

Täuferisches Forum für Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfung

An ihrem Treffen vom 19. März 2025 hat unsere Kerngruppe beschlossen, den Namen des Forums zu ergänzen, damit der neue und so dringende Schwerpunkt Schöpfung-Klima-Biodiversität auch zum Ausdruck kommt.

Die Kerngruppe des Forums, welche sich gelegentlich und nach Bedarf trifft, hat sich bereits um zwei Personen mit entsprechenden Interessen und Kompetenzen erweitert, sodass wir davon ausgehen können, die Themen rund um Schöpfung und Klimakrise in nächster Zeit auch beackern zu können, beziehungsweise sie für unser Publikum zugänglich zu machen. Siehe Artikel Den Blick auf die nicht-menschliche Schöpfung ändern.

Bist du interessiert, in diesem Bereich gelegentlich mitzudenken und mitzureden? Dann freuen wir uns über eine Mail.

Am gleichen Treffen haben wir auch beschlossen, gemeinsam mit dem Tagungs- und Ausbildungzentrum Bienenberg einen Anlass zum Thema Klima-Angst und Resilienz mit Carolyn Yoder durchzuführen. Dieser wird am 30. Mai hybrid stattfinden, vor Ort und Online. Einzelheiten dazu werden demnächst bekannt gegeben.

Prüft alles, das Gute behaltet – auch im Internet

Warum die Jahreslosung 2025 auch auf die sozialen Medien anzuwenden ist.

Am 14. Januar 2025 hat die Eidgenössische Medienkommission (EMEK) eine Medienmitteilung und einen Bericht publiziert, in welchem sie vor den verheerenden Folgen der Social Media, welche im Besitz von Miultimilliardären sind, warnt. Der Titel lautet: Markt- und Meinungsmacht von Plattformen. Ursachen und Folgen für die Medien und Demokratie.

In der digitalen Welt wird uns vieles vorgesetzt. Wir leben damit und gehen tagtäglich damit um. Erstaunlich dabei ist: In praktisch allen andern Lebensbereichen halten wir es für selbstverständlich, dass wir prüfen, vergleichen und wählen: von der Zahnpasta über die Kleidung bis zum Fahrzeug, wir sind gewohnt, kritisch hinzuschauen und die richtige Wahl zu treffen. Wir wären entsetzt und fänden es unerhört, wenn wir dies nicht könnten. Wie könnten wir gleichgültig sein gegenüber Dingen, die Hass schüren und Polarisierung antreiben?

Die Jahreslosung 2025 lautet : Prüft alles, das Gute behaltet.

Warum sollte dies nicht auch für unserem Umgang mit der digitalen Welt und ihren verflixten Werkzeugen gelten? Einige würden jetzt rasch sagen: Technische Werkzeuge sind neutral, es kommt drauf an, was man damit macht. Nicht wirklich. Denn erstens ist erwiesen, dass die Platform X, früher Twitter, Facebook und Instagram alles andere als neutral sind. Seid Januar häufen sich Meldungen und Klagen über den zunehmenden Missbrauch, Falschmeldungen und die Gewalt auf diesen Medien. Zweitens geht es nicht nur darum, was ich damit mache, sondern vielmehr darum, was diese Werkzeuge mit mir und mit dem Kollektiv machen und zu welcher Dynamik der Gesellschaft sie entscheidend beitragen. Eine Studie des Massachussets Institute of Technology (MIT) zeigt, dass Falschmeldungen auf X sich sechsmal schneller verbreiten als wahre Meldungen.(1)

Immer mehr Menschen informieren sich kaum mehr über die herkömmlichen Medien wie Radio, Fernsehen und Zeitungen, sondern eher über soziale Medien. Das ist insofern verständlich, als die sogenannten Mainstream Medien, insbesondere Zeitungen, zunehmend im Besitz von einigen wenigen Milliardären sind. Genau hier liegt der Grund, weshalb wir unabhängige Medien brauchen, von der öffentlichen Hand geschützt und die nicht von Werbung abhängig sind.

Internetbenutzer übersehen, dass das auch auf die Social Media zutrifft. Die Warnung der EMEK vor diesen Plattformen weist darauf dahin, dass Informationen oft manipuliert oder falsch sind. Zudem erhalten die Benutzer praktisch nur Infos aus den ihnen bekannten oder bevorzugten Kreisen. Man bewegt sich in einer Blase und glaubt zu wissen, was abgeht.

Deshalb: Warum werden Internetwerkzeuge nicht unserer – einzelnen oder gemeinsamen – Prüfung unterzogen? Ist das was grad zuoberst auf der Liste erscheint und praktisch oder bequem ist, wirklich auch gut genug? Gerade im Bereich der Digitalisierung und von Internet müsste gelten, was wir zum Beispiel im Bereich der Lebensmittel anstreben: wo möglich lokal, energie- und umweltfreundlich, von einer Herkunft, die nicht kriminell und menschenverachtend ist und dies auch nicht fördert.

Genau hier liegt die Schwierigkeit mit X, Google, Facebook, WhatsApp, Instagram, Amazon u.a.: Nicht nur verdienen die Besitzer dieser Einrichtungen und Werkzeuge Milliarden. Sie setzen alles daran, auch die Rechte ihrer Angestellten, die Umwelt, Wahrheit und Recht, um das Monopol und ihr Reich zu festigen und auszudehnen. Das ist auch der Grund, dass sie grosse Tageszeitungen kaufen und dann zensieren. Dazu kommt der unvorstellbare Energieaufwand: Google plant duzende von Atomkraftwerken um die bodenlose Energiegier von KI zu stillen.

Es ist klar: Wir kommen nicht völlig heil davon noch können wir uns einfach ins Abseits stellen. Wenn wir mit all dem rein gar nichts zu tun haben wollten, dann genügt es auch nicht, Amish zu sein. Jedoch: wie haben die Wahl, es gibt respektvollere, menschen- und umweltfreundlichere Alternativen zu den GAFAM: Es gibt Vimeo. Es gibt Framasoft mit diversen Werkzeugen. Es gibt Threema und Signal, beide für Chat, Telefon und mit der Möglichkeit für Gruppen. Und es gibt neuerdings die App MennoCom der Mennoniten in Deutschland, auf der Platform CommuniApp. Warum nicht eine solche Platform benutzen? Es gibt auch das FairPhone. Wir haben die Möglichkeit, alternative Werkzeuge zu benutzen und zu fördern. Wir haben die Möglichkeit, unsere Daten nicht ohne weiteres den Techmilliardären zuzuspielen und auch noch dafür zu bezahlen.

Ich bin überzeugt, dass es höchste Zeit ist, unser Leben zu entgooglen. Das ist zwar eine Herausforderung aber es ist möglich, insbesondere wo es um Kommunikation geht in unseren Gemeinden und Familien. Wie heisst es zum 500-Jubiläum der Täufer: Mut zur Liebe!

(1) Salomé Saqué: Résister. Payot 2024, S.67

Besuchsreise nach Lesbos

Das deutsche Mennonitische Friedenskomitee DMFK und Community Peacemaker Teams Niederlande betreiben seit einiger Zeit gemeinsam auf der Insel Lesbos in Griechenland das Projekt Aegean Migration Solidarity. Im Juni 2025 gibt es die Möglichkeit, an einer Besuchsreise auf Lesbos teilzunehmen und diese besondere Insel mit ihren Menschen und Geschichten kennenzulernen.

Flyer-fuer-Delegation-Lesbos-2025

Europäische Konsultation zum gerechten Frieden

Von Neal Blough. Neal hat für Church & Peace an dieser Konsultation der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) in Warschau Anfang Dezember 2024 teilgenommen. Neal Blough ist emerierter Professor für Geschichte, Historiker der täuferischen Thelogie und Mitglied in der Friedenskommission der Mennonitischen Weltkonferenz. Das Täuferische Forum ist auch Mitglied bei Church & Peace und hat die Teilnahme von Neal finanziell mitgetragen.

Ich hatte das Privileg, an der Europäischen Konsultation zum gerechten Frieden teilzunehmen, die von der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) organisiert wurde. Sie fand vom 9. bis 11. Dezember (2024) in Warschau statt. Es nahmen etwa 80 Personen teil, welche europäische Kirchen, einschließlich der ukrainischen, vertraten. Ziel des Treffens war es, die theologischen, ethischen und praktischen Elemente des Konzepts und der Realität des „gerechten Friedens“ im Kontext der russischen Militäraggression auf ukrainischem Gebiet zu erörtern. Ich konnte an dieser Konsultation als Vertreter von Church and Peace, dessen Mitglied ich bin, teilnehmen. Ich wurde auch gebeten, einen kurzen Beitrag über den gerechten Frieden in der Bibel beizusteuern.

In ökumenischen und in römisch-katholischen Kreisen wird das Konzept des gerechten Friedens bereits seit mehreren Jahrzehnten entwickelt. Das Konzept wird ausgearbeitet, um den Begriff des „gerechten Krieges“ zu ersetzen, der in den Augen vieler nicht mehr funktionsfähig erscheint. Es gab zwei Vorträge zu diesem Konzept, einen von Fernando Enns, Professor in Hamburg und Amsterdam, über die Entwicklung von Diskurs und Praxis innerhalb des Ökumenischen Rates der Kirchen, und einen breiteren Vortrag von Christina Schliesser, Professorin an der Universität Freiburg. Chistina Schiesser arbeitet auch mit dem Bienenberg-Programm „Konflikt-Transformation und Friedenskultur“ zusammen.

Die Stimme der ukrainischen Kirchen
Der zentrale Teil der Konsultation bestand darin, den ukrainischen Stimmen zuzuhören, die die christliche Vielfalt des Landes repräsentierten: die Orthodoxe Kirche der Ukraine, die Baptistenunion, die Transkarpatische Reformierte Kirche in der Ukraine, die römisch-katholische und die griechisch-katholische Kirche, die Bibelgesellschaft der Ukraine, die Lutherische Kirche der Ukraine und das Institut für Religionsfreiheit.

Eines der heiklen Themen sind die Beziehungen zwischen der vom Patriarchat von Konstantinopel anerkannten Orthodoxen Kirche der Ukraine und der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat). Zwischen den beiden bestehen zahlreiche Spannungen. Sie wurden in der Präsentation des Primas der ukrainisch-orthodoxen Kirche angesprochen, der gleichzeitig die Bemühungen um eine Versöhnung erwähnte. Die meisten Ukrainer würden sich eine vereinigte orthodoxe Kirche wünschen.

Meiner Meinung nach war die zentrale und schwierige Frage, die von den Ukrainern gestellt wurde, folgende: „Was bedeutet das Konzept des gerechten Friedens in der aktuellen Situation?“. Während das Konzept existiert, um die Kirchen zur Gewaltlosigkeit zu ermutigen, wiesen die Ukrainer auf die Bedeutung des Wortes „gerecht“ hin und damit auf die Ungerechtigkeit, die ihr Land erfährt. Die ukrainischen evangelikalen Kirchen (Baptisten, Pfingstler, Mennoniten) teilten historisch eine pazifistische Position, die derzeit als nicht praktikabel gilt, auch wenn es innerhalb dieser Denominationen Wehrdienstverweigerer gibt, allerdings ohne Rechtsstatus.
Die ukrainischen Kirchen rufen uns zu beständigem Gebet auf, aber auch dazu, die europäischen Staaten zu ermutigen, das Land bei seinen Verteidigungsanstrengungen militärisch zu unterstützen. Ich zitiere Pastor Ihor Bandura von der Baptistenunion, der meiner Meinung nach das, was wir gehört haben, gut darstellt:

Selbstverteidigung ist für viele Kirchen und Pastoren von einem Tag auf den anderen zur Realität geworden. Die Kirche muss sich auch in Zeiten des Widerstands weiterhin für Versöhnung und Friedensbildung einsetzen. Sie muss die Möglichkeit eines Friedens für morgen kultivieren. Sie muss Menschen, die durch den Krieg verletzt und traumatisiert wurden, begleiten und heilen und Vertriebene und die Schwächsten schützen. Das Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit muss durch die Pflicht, die Schwächsten zu schützen und Ungerechtigkeit zu bekämpfen, ausgeglichen werden.

Die Meinung der Ukrainer geht dahin, dass in der aktuellen Situation das Recht auf Selbstverteidigung ein moralischer Imperativ ist, die Gewaltfreiheit muss aus der „R2P“, der Verantwortung, Unschuldige zu schützen, ausgeglichen werden. Dr. Roman Fihas, Leiter des Instituts für Ökumenische Studien an der Katholischen Universität Lviv, beschrieb seine Vorstellung von gerechtem Frieden mit mehreren Elementen:

  • Das Evangelium verteidigen, was die Notwendigkeit beinhaltet, die Ideologie der russisch-orthodoxen Kirche, den Russki Mir, zu dekonstruieren. Diese „Theologie“ verknüpft den Krieg eng mit Putins Politik, versteht ihn als Verteidigung des wahren Christentums, das durch das russische Volk repräsentiert wird, und beschreibt die im Kampf gefallenen Soldaten als Märtyrer. Aus dieser Perspektive wird der Westen als existentielle Bedrohung des „wahren“ Christentums betrachtet.
  • Gerechtigkeit ist notwendig, d. h. kein Territorium an die Russen abtreten, dem Aggressor nicht Recht geben.
  • Die Freiheit, einen demokratischen Staat zu entwickeln.
  • Europäische und internationale Solidarität für die Ukraine.

Weitere Aspekte wurden angesprochen und diskutiert:

  • Rechtsschutz für Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen
  • Ein Plädoyer für einen weihnachtlichen Waffenstillstand und einen umfassenden Gefangenenaustausch wurde vorgeschlagen. (Von der KEK gesendet und nicht gehört oder beachtet).
  • Die Unterstützung der Armeeseelsorger durch pastorale Beratung und Dialog.
  • Die Forderung nach mehr Investitionen in die Versöhnung, u. a. durch die Finanzierung von Friedensbildungsprogrammen in der Ukraine.
  • Aufrechterhaltung von Verbindungen zu russischen Dissidenten, um sie zu unterstützen und zu ermutigen.

Schlussfolgerungen

Am Ende der Konsultation wurden die Schlussfolgerungen des Anhörungsausschusses vom Vorsitzenden der KEK, Erzbischof Nikitas von Thyateira und Großbritannien, bekannt gegeben. Hier einige Auszüge:
Als Christen sind wir aufgerufen, die Wahrheit zu sagen, gewalttätige Narrative zu dekonstruieren und uns auf die Seite der Gerechtigkeit zu stellen. Diese Konsultation erinnert uns an unsere gemeinsame Verantwortung, die Menschenwürde und Solidarität zu verteidigen und den Frieden für alle zu fördern.
Der Sieg der Wahrheit bedeutet, das Leben zu schützen, die Gerechtigkeit wiederherzustellen und Solidarität aufzubauen. Das KEK ist weiterhin entschlossen, die ukrainischen Kirchen zu unterstützen und eine Vision von gerechtem und dauerhaftem Frieden zu fördern.

Was kann der mennonitische Teilnehmer, der Mitglied einer „historisch pazifistischen Kirche“ und von Church and Peace ist, zu dieser Konsultation sagen?

Zunächst einmal scheint mir die Tatsache, dass die Konsultation stattgefunden hat und dass die europäischen kirchlichen Instanzen in die gleiche Richtung arbeiten, von grundlegender Bedeutung zu sein. Die Frage des Friedens und der Gewaltlosigkeit kann nicht nur als eine Besonderheit der Mennoniten, Quäker oder anderer betrachtet werden. Ohne einen ernsthaften ökumenischen Ansatz werden die Christen in diesen Fragen nicht viel Gewicht haben. Allein die Tatsache, dass sich diese Kirchen mit ihren unterschiedlichen Traditionen und Ansichten zur Frage des Krieges treffen und ernsthaft und mit gegenseitigem Respekt an die Sache herangehen, ist sehr wichtig – etwas, das ich als Zeichen der Hoffnung sehe. In seiner Rede sagte Peter Prove, der den Ökumenischen Rat der Kirchen vertrat, folgendes:

Der Ökumenische Rat der Kirchen existiert nicht, weil wir uns einig sind, sondern gerade weil wir uns nicht einig sind, manchmal in sehr grundlegenden Fragen, und deshalb müssen wir zusammen sein und diesen schwierigen Weg gemeinsam gehen, als Zeugen einer zunehmend gespaltenen und polarisierten Welt.

Das Wiederaufleben von christlichen Nationalismen in Russland oder den USA muss von der weltweiten Kirchenfamilie bekämpft werden. Nicht nur der Russki Mir muss dekonstruiert werden (vgl. das Wiederaufleben des christlichen Nationalismus in den USA).

Was die Gewaltlosigkeit betrifft, so fühlte sich niemand außerhalb der Ukraine berechtigt, den Ukrainern zu sagen, dass sie nicht das Recht haben, sich zu verteidigen. Das bestärkt mich in dem Gedanken, dass Gewaltlosigkeit und Frieden langfristig angelegt sind. Wenn ein Krieg ausbricht, ist es oft zu spät, und gegen einen so brutalen Feind wie Putin bedeutet absolute Gewaltlosigkeit schlicht und einfach Kapitulation und schwerwiegende europäische und internationale Auswirkungen.

Frieden und gewaltfreies Handeln werden im Laufe der Zeit vorbereitet und gelebt, vor allem vor und nach bewaffneten Konflikten. Auch in Kriegszeiten, so weit wie möglich, aber der Krieg ist bereits eine Niederlage, die es oft schwierig oder unmöglich macht, gewaltfreie Mittel einzusetzen (Standpunkt der Kirchen in der Ukraine). Im Laufe der Zeit, in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und den Regierungen, müssen die Kirchen ernsthaft daran arbeiten, andere als militärische oder gewalttätige Mittel zur Konfliktlösung zu etablieren. Rechtsstaaten und Demokratie sind im gegenwärtigen Kontext fragil und bedroht, die Vereinten Nationen scheinen nur wenig Einfluss zu haben. Die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Eindämmung der Gewalt gegründeten Strukturen (EU, UNO) müssen wieder ihren Platz finden, was durch die Trump-Administration ernsthaft erschwert wird. Die Kirchen könnten in ihren unterschiedlichen Kontexten eine grundlegende Rolle spielen, wenn sie im Sinne des Evangeliums des Friedens blieben. Daher die Bedeutung der ökumenischen Arbeit für den Frieden, und zwar für den gerechten Frieden.

Ich danke Church and Peace für das Privileg, in ihrem Namen an dieser Konsultation teilzunehmen, und der KEK für die wahrhaft gechwisterliche Gastfreundschaft und die Qualität und Transparenz des Austauschs. Danke auch dem Täuferischen Forum in der Schweiz, welches meine Teilnahme an der Konsultation finanziell unterstützt hat.

(Übersetzung mit Hilfe von Deepl)