Bonhoeffers Weckruf. Ein Lesebuch. Rosemarie Egger (Hg.) Verlad Neue Stadt 2024
»Auf der Flucht vor der öffentlichen Auseinandersetzung erreicht dieser und jener die Freistatt einer privaten Tugendhaftigkeit. Er stiehlt nicht, er mordet nicht, er bricht nicht die Ehe, er tut nach seinen Kräften Gutes. Aber in seinem freiwilligen Verzicht auf Öffentlichkeit weiß er die erlaubten Grenzen, die ihn vor dem Konflikt bewahren, genau einzuhalten. So muss er seine Augen und Ohren verschließen vor dem Unrecht um ihn herum. Nur auf Kosten eines Selbstbetrugs kann er seine private Untadeligkeit vor der Befleckung durch verantwortliches Handeln in der Welt reinerhalten. Bei allem, was er tut, wird ihn das, was er unterlässt, nicht zur Ruhe kommen lassen …« (Dietrich Bonhoeffer)
Dem Buch geht es ums Schweigen angesichts des horrenden Unrechts und der mörderischen Gewalt – gegen Menschen, deren Leben nicht zählt, und gegen die Schöpfung – von welchen wir tagtäglich hören und welche uns aber als notwendig, gerechtfertigt, oder unaufhaltbar dargestellt werden. Rosemarie Eggers eigene Betroffenheit vom Zitat Bonhoeffers veranlasste sie, mehrere Personen einzuladen, sich dazu zu äussern. Aus diesen und weiteren Beiträgen, z.B von Anselm Grün oder Eugen Drewermann, ist dieses Buch entstanden. Rosemarie Egger schreibt zu Beginn:
Bonhoeffers Wort entstammt einer andern Zeit und ist zunächst in seinem historischen Kontext zu lesen. Noch gibt es persönliche Erinnerungen an diese Zeit aus erster Hand. Bonhoeffers Wort ist aber auch heute brandaktuell – als Mahnmal, als Weckruf, die „Zeichen der Zeit“ wahrzunehmen, zumal angesichts von Tendenzen, die — wie der erstarkende Rechtspopulismus und -radikalismus — unwillkürlich an jene furchtbaren Zeiten erinnern.
Die Beiträge sind vielseitig und vielschichtig. Da ist auch vom notwendigen, heilsamen Schweigen die Rede. Vom Hören und Handeln. Vom Ringen um das Wesentliche. Oder „Tue Gutes und rede (nicht) darüber“. Vom Unterscheiden, Entscheiden und von den Dilemmata. Von Hoffnungszeichen und von der Tat, die die Freiheit ist. Anpassung und Widerstand…
Dietrich Bonhoeffer schrieb : „Mensch sein ist ein Resonanzraum, der Entscheidungen für das Leben abverlangt – auch in den politischen Herausforderungen unserer Tage. Wahrheit soll geschehen!„
Ob wir schweigen oder reden, als Menschen sind wir Resonanzraum und wir können und müssen uns entscheiden, wofür und wogegen wir reden oder schweigen; welchen Dingen wir welche Resonanz geben. Ein Kriterium ist das Leben und die Würde von Menschen. Dies aber erscheint in der Logik von Nation, Macht, Wirtschaft und Krieg als bedeutungslos. Bonhoeffer hat nicht geschwiegen und blieb nicht tatenlos.