Sackgasse Aufrüstung

Es scheint als habe in Europa die grosse Stunde der Aufrüstung geschlagen: 800 Milliarden sollen es richten, Putin’s Russland davon abzuhalten, weitere europäische Länder zu überfallen – oder Russland in so einem Falle zu schlagen.

Dieses Narrativ ist einschlägig im Sinne einer immer wachsenden weltweiten Rüstungsindustrie und wird seit längerem kraftvoll vertreten. Zu Beginn waren einzelne Stimmen, wie die des Militärstrategen Nicolas Tenzer. Seit die neue Administration der USA die geopolitischen Karten durcheinander bringt und alles auf Deals reduziert, werden in Europa massive Aufrüstungspläne geschmiedet und es wird uns tagtäglich gesagt, dass uns nichts anderes übrig bleibt als militärisch aufzurüsten. Hier erschien vor gut einem Jahr ein Artikel dazu: Wessen Krieg?

Zur Stimmung in Europa passt, was Arundathi Roy, Indische Schriftstellerin kürzlich sinngemäss sagte: Lange Zeit wurden Waffensysteme erfunden, um Kriege führen zu können. Heute werden Kriege erfunden, um Waffensysteme weiter zu entwickeln. Klar ist: die Annexion der Krim und der Überfall auf die Ukraine durch Russland sind Verbrechen. Zugleich ist es unsere Verantwortung, Alternativen für den Frieden zu suchen.

In einem Anfang März von nd-altuell veröffentlichten Interview erklärt der UNO-Experte Andreas Zumach, dass es durchaus eine Alternative zur militärischen Konfrontation gibt: der Aufbau multilateraler Friedenssysteme.

Der Publizist Andreas Zumach ist Experte für internationale Beziehun­gen und arbei­tete 1988 bis 2020 als Korrespondent für verschiedene Medien bei den Ver­einten Nationen. In dieser Zeit war er den Schweizern aus den SRF Nachrichten bekannt. Er ist Ko-Autor des Strategie­papiers »Sicherheit neu denken. Europas Rolle für den Frieden der Welt«.

Auszug aus dem Interview:

Nach dem Ende der Sowjetunion gab es ernsthafte Bemühungen, eine Friedensordnung unter dem Dach der OSZE aufzubauen. Beendet wurde das durch eine Entscheidung der Bush-Regierung, die eine enge europäisch-russische Zusammenarbeit als Gefahr betrachtete.

Wenn eine funktionierende Friedensarchitektur entstanden wäre, hätten die Europäer die Nato nicht mehr benötigt. Seit 1995 haben die USA die OSZE deshalb systematisch torpediert.

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Es gibt fatale Fehleinschätzungen, was Russland betrifft. Auch ohne die USA übertreffen die europäischen Militärausgaben die Russlands um ein Vielfaches. Auch bei konventionellen Waffensystemen ist Europa Russland klar überlegen. Die einzige Lücke ist das Nukleararsenal.

Wenn man den militärischen Weg einschlagen wollte – wofür ich absolut nicht bin –, dann wären die französischen und britischen Atomwaffen als Abschreckungsinstrumente völlig ausreichend. Diese ganze Aufrüstungshysterie, die die öffentliche Debatte beherrscht, ist unfundiert und eine fürchterliche Sackgasse. Wenn diese Pläne umgesetzt werden, kann man jede Sozial- und Klimapolitik, jede globale Armutsbekämpfung dauerhaft vergessen. Deswegen ist es jetzt unsere wichtigste Aufgabe, dieser Bedrohungsbehauptung zu widersprechen.

Aus Sicht des Globalen Südens ist die Erzählung, wir würden in eine globale Auseinandersetzung zwischen westlichen Demokratien und autoritären Schurkenstaaten wie Russland und China hineinlaufen, ein Witz. Schauen Sie sich die reale Politik des Westens in den letzten Jahrzehnten an. Deshalb gibt es zur Verteidigung des multilateralen Systems und des Völkerrechts überhaupt keine Alternative. Das wird allerdings global und in Europa nur gelingen durch ein starkes Engagement der Zivilgesellschaften. Deswegen erscheint mir der Abbruch aller zivilgesellschaftlicher Kontakte nach Russland auch als großer Fehler.

Hier kannst du das ganze Interview mit Andreas Zumach lesen.