Den Blick auf die nicht-menschliche Schöpfung ändern

David Nussbaumer ist vor kurzem zum Täuferischen Forum für Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfung gestossen. Er bringt eine Internationale Perspektive mit, da er Mitglied ist in der Arbeitsgruppe der Mennonitischen Weltkonferenz (MWK) für die Bewahrung der Schöpfung. Wir haben David gebeten, sich kurz vorzustellen und etwas über sein Engagement und seine Herausforderungen zu sagen.

Kannst du dich in wenigen Worten vorstellen?

Ich bin französisch-schweizerisch, verheiratet und habe drei Kinder. Ich lebe mit meiner Familie im Südelsass und besuche die Mennonitenkirche in Altkirch. Ich habe Wasser- und Umweltingenieurwesen mit Schwerpunkt Wasser und Sanitärversorgung in Kontexten der humanitären Entwicklung und Nothilfe in England und Sambia studiert. Danach arbeiteten meine Frau Aline und ich sieben Jahre lang für die Organisation A Rocha France in der Domaine des Courmettes, einem Zentrum zur Erforschung der Biodiversität und zur Umwelterziehung. Außerdem haben wir am Regent College (Vancouver) Theologie studiert, mit einem starken Interesse an sozialer und ökologischer Gerechtigkeit. Als leidenschaftlicher Naturalist verbringe ich viel Zeit damit, nicht-menschliche Kreaturen (Vögel, Schmetterlinge, Reptilien, Orchideen usw.) zu beobachten und zu identifizieren. Seit 2022 bin ich der Europa-Vertreter in der Arbeitsgruppe für den Schutz der Schöpfung der Mennonitischen Weltkonferenz und in dieser Funktion trete ich nun dem Täuferischen Forum für Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfung bei.

Welche Perspektiven siehst du im Zusammenhang mit der Klima- und Biodiversitätskrise?

Wenn man sich sieht, was in der Welt passiert, sind die Aussichten nicht gut. Ich denke jedoch, dass wir in Jesus Christus sowohl eine Hoffnung haben, die uns nicht alarmiert oder entmutigt, als auch ein Beispiel, das uns zum Handeln anregt. Ich möchte hier einige meiner derzeitigen Überlegungen mitteilen:
Erstens scheint es mir notwendig, dass wir unseren Blick auf die nicht-menschliche Schöpfung ändern. Die natürliche Welt existiert nicht für die Menschen. Sie ist nicht in erster Linie eine Ansammlung von Ressourcen, die es uns ermöglichen, uns auf Kosten anderer Kreaturen zu entwickeln. Eine biblische Perspektive weist uns darauf hin, dass die Welt für Jesus Christus geschaffen wurde und Gott gehört. Wir sind gemeinsam mit den anderen Lebewesen Mitgeschöpfe, die geschaffen wurden, um Gott zu loben. Wir haben zwar einen besonderen Status und eine besondere Rolle, aber diese liegen dennoch eher in der Verantwortung, sich um die anderen Geschöpfe zu kümmern, nach dem Vorbild Gottes, der sich um seine gesamte Schöpfung kümmert.

Zweitens: Der Gott der Bibel verteidigt die Schwachen, „die Witwe und die Waisen“. In der aktuellen politischen Lage auf anderen Kontinenten, aber auch bei uns, steigt die Popularität starker (Männer), die ihre Macht missbrauchen, um das zu bekommen, was sie wollen. Was für ein schönes Zeugnis ist es, heute in der Nachfolge Jesu für arme und unterdrückte Menschen einzutreten und sich für ihre Rechte einzusetzen. Ich schlage vor, diesem die Verteidigung der vom Aussterben bedrohten nichtmenschlichen Arten und der ausgebeuteten Naturräume hinzuzufügen, wenn auch vielleicht in geringerem Maße, auch als Einsatz für den Schalom der Herrschaft Gottes.

Drittens halte ich es für notwendig, dass die reichsten Bevölkerungsgruppen den ökologischen Wandel, die Anpassung an den Klimawandel und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt für die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen finanzieren. Das wäre keine Wohltätigkeit, sondern ein Akt der Gerechtigkeit. Wie die COP29 in Baku gezeigt hat, ist dies ein sehr sensibles Thema, da die westlichen Regierungen nur ungern das Wirtschaftswachstum ihrer Nationen einschränken. Wird ein reiches Land den Mut haben, auf einen Teil seines Komforts zu verzichten, um das zu tun, was gerecht ist? In einem viel kleineren Maßstab wird die Mennonitische Weltkonferenz demnächst Zuschüsse für Mitgliedskirchen in Afrika, Asien oder Lateinamerika anbieten, die ein Projekt zur Bewahrung der Schöpfung aufbauen wollen.

Was sind deine Dilemmas und Fragestellungen im Moment?

Eine sehr große Frage! Manchmal habe ich den Eindruck, dass mein Leben ein ständiges Dilemma ist: Der CO2-Fußabdruck, als französischer Staatsbürger in Frankreich zu leben und alle öffentlichen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, scheint für das Klima bereits zu hoch zu sein. Ich gehöre zu den Bevölkerungsgruppen, die dafür sorgen, dass wir derzeit sechs der neun planetaren Grenzwerte überschreiten, die vom Stockholm Resilience Centre untersucht wurden. Sollte ich deshalb aus diesem Kontext aussteigen, mit den sozialen und familiären Folgen, die das hätte? Und was würde sich dadurch ändern? Sollte man sich nicht vielmehr daran beteiligen, das „System“ von innen heraus weiterzuentwickeln? Während ich dort handle, wo ich kann (oder zumindest bereit bin, es zu tun!), nähren die Praktiken des Klagens und der Buße meinen Dialog mit Gott über meinen Konsum und meinen Fußabdruck auf diesem Planeten.

Zweitens stelle ich mit Traurigkeit eine Zunahme des Gegensatzes zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz fest, zumindest in Frankreich (ich weiß nicht, ob das in der Schweiz auch so ist?). Umweltstandards werden beschuldigt, die Hauptlast der Landwirte zu sein. Ich frage mich jedoch, ob das Problem nicht eher in der viel zu niedrigen Vergütung im Vergleich zu dem Dienst, den die Landwirte für die Gesellschaft leisten, liegt. Ist die Last der Landwirtschaft nicht vielmehr das Agrobusiness? Wenn man die niedrigen Preise einiger Supermarktketten und die von ihnen ausgewiesenen Gewinnspannen sieht, drängt sich diese Frage auf. Werden die Verbraucher bereit sein, mehr zu zahlen, wenn sie ihre Lebensmittel verstärkt über kurze Wege beziehen?

Schließlich frage ich mich auch, wie man am besten über die Klima- und Biodiversitätskrise sprechen kann. Wenn man viel Zeit damit verbringt, Zahlen und Fakten zu teilen (z. B. Bilder von den Bränden in Los Angeles oder den Überschwemmungen in Valencia), besteht die Gefahr, dass man Entmutigung, Angst oder Verleugnung auslöst. Wenn umgekehrt nur die Schönheit der Natur hervorgehoben wird, besteht die Gefahr, dass das Ausmaß der Krise heruntergespielt wird. Es ist nicht leicht, das Gleichgewicht zu finden, und eindeutig tendiert meine Natürlichkeit zu der ersten Option. Ein Weg, den ich kürzlich entdeckt habe und den ich erforschen möchte, ist, die meiste Zeit damit zu verbringen, über Lösungen oder Handlungsmöglichkeiten zu sprechen. Ich denke also darüber nach, wie ich das in meinen nächsten Beiträgen oder Diskussionen besser einbauen kann: mit einer klaren, aber kurzen Feststellung beginnen, dann Beispiele dafür erkunden, was andere tun, und schließlich konkrete und realistische Maßnahmen auflisten, wobei ich in Bezug auf die Grenzen ehrlich bin. Ich hoffe, dass dies ein begeistertes Engagement hervorruft!

Unser gemeinsames Klimasystem schützen

Mehr als 200 Organisationen, Gruppierungen und Einzelpersonen mit kirchlichem oder religiösem Hintergrund werden am 18. November an der UNO Klimakonferenz COP 29 in Baku einen Aufruf zum Schutz der Schöpfung präsentieren.

Der Aufruf beleuchtet die Prinzipien und Werte, die von den wichtigsten Weltreligionen, Glaubensrichtungen und Philosophien geteilt werden und die für die Umweltgovernance relevant sind, um eine nachhaltige Zukunft zu gewährleisten. Dazu gehören die Prinzipien Bewahrung der Schöpfung, Gegenseitigkeit/Fairness, Gerechtigkeit/Unparteilichkeit, soziale Verantwortung und Vormundschaft der Erde.

Im Einzelnen beinhaltet der Aufruf folgende Forderungen und Anliegen:

  • Eine Erklärung der Vereinten Nationen zum globalen Notfall und die Einrichtung einer Plattform für den globalen Notfall, die mit der Ausarbeitung und Umsetzung eines kooperativen Aktionsplans für den globalen Notfall verbunden ist;
  • Die Schaffung eines Sondergesandten der Vereinten Nationen für künftige Generationen und ähnlicher institutioneller Vertreter für künftige Generationen auf lokaler, nationaler und regionaler Ebene ;
  • Das hängige Dossier vor dem Internationalen Gerichtshof zum Klimawandel; die Aufnahme des Verbrechens des Ökozids in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs; die Aufnahme spezifischer Umweltverbrechen in den Vertragsentwurf zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit; die verstärkte Nutzung bestehender Gerichte und Gerichtshöfe zur Lösung von Umweltproblemen und zum Schutz der Umwelt; und die Schaffung eines internationalen Gerichtshofs, der sich speziell mit Umweltfragen befasst;
  • Verhandlungen über einen Vertrag betreffend fossile Brennstoffe, welcher die Subventionen für fossile Brennstoffe beendet, die Förderung fossiler Brennstoffe schrittweise einstellt und die Investitionen in umweltfreundliche Volkswirtschaften, insbesondere in Entwicklungsländern, erhöht ;
  • Das Prinzip der Vormundschaft über die Erde und die Ausweitung von Beispielen für dieses Prinzip auf lokaler, nationaler, regionaler und internationaler Ebene. Dies könnte einen kooperativen Vormundschaftsmechanismus der Vereinten Nationen für eine bessere Verwaltung globaler Gemeingüter umfassen, der sich am Vorschlag des UN-Generalsekretärs für einen Vormundschaftsrat der Vereinten Nationen orientiert.

(aus https://paxchristi.net/protecting-our-common-climate-system/, mit Deepl übersetzt )

Von Schwalben und Insekten

Birdlife Schweiz hat kürzlich mitgeteilt, dass in der Schweiz fast 40% der Vögel vom Aussterben bedroht sind. Was auf die Schweiz zutrifft, wird in Deutschland oder Österreich kaum anders sein. Vögel ernähren sich weitgehend von Insekten. Und die Insekten nehmen stärker ab als bisher angenommen. Das teilt die französische Umweltpublikation Reporterre am 10. Oktober mit.

Nun möchte man sagen: Genug der schlechten Nachrichten! So wichtig es ist, sich der Dauerberieselung von vorwiegend schlechten Nachrichten zu entziehen und dorthin zu schauen wo es Einladung auf Handeln und Hoffnung gibt, so wesentlich ist es, der Realität ins Auge zu sehen. Deshalb dies hier:

In den letzten Tagen machten erstaunliche Bilder von Schwalben-Schwärmen die Runde. Die Schwalben mussten auf ihrer verspäteten Reise in den Süden wegen des Dauerregens Pausen einschalten und einige litten Hunger. 1974 gab es eine ähnliche Situation, damals hat die Swissair hundertausende Schwalben in den Süden geflogen. (Siehe u.a. den Bericht von SRF am 29. September 2024)

Dass die Insekten abnehmen ist schon länger bekannt. Reporterre berichtet am 10. Oktober von einer am 8.10. vom Peer Community Journal veröffentlichten Studie welche nachweist, dass die 2020 veröffentlichten Daten das Ausmass der Abnahme von Insekten sowie die möglichen Ursachen durch die industrielle Landwirtschaft relativierte. Es müssten weit drastischere Massnahmn ergriffen werden um dieseser Entwicklung entgegen zu wirken.

So kommt es nun, dass die Schalben – wie auch andere Spezies – durch die Umweltzerstörung und durch den Klimawandel doppelt bedroht sind: Es gibt immer weniger Insekten und das durch den Klimawandel veränderte Wetter erschwert den Schwalben die Migration, welche für sie ein grösseres Risiko darstellt.

Sicher können wir, wenn wir gestrandete hungernde Schwalben sehen, diese wie vor Jahren einsammeln und sie an die Vogelwarte Sempach schicken. Doch diesmal müssen wir auch den Ursachen auf den Grund gehen und uns für einen nachhaltigeren Umgang mit der Schöpfung einsetzen. – Warum ist das Spritzen von Glyphosat immer noch erlaubt?

Dies ist ein sehr einfaches Beispiel für die Komplexität der Umwelt- und Klimakrise. Wo die Politik versagt, liegt es an Menschen, zu handeln im ihnen zur Verfügung stehenden Rahmen.

Grundwerte vor identitären Interessen

Der israelische Philosoph Omri Boehm erhielt kürzlich den «Leipziger Buchpreis für Verständigung». Sein Buch Radikaler Universalismus hat nicht nur Beachtung gefunden, es ist ein überaus wichtiges Buch, weil es eindrücklich darlegt, dass es Grundwerte gibt, die über menschlichen Vereinbarungen und Gesetzen stehen. Was die Menschen von Tieren unterscheidet, ist das moralische Urteilungsvermögen, daher haben Menschen zwar (wie Tiere) Rechte, aber sie haben auch Pflichten. David Henry Thoreau meinte genau das, als er von der „Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ sprach. Boehm verweist auf die US-amerikanische Verfassung, auf Abraham in der hebräischen Bibel und auf die Worte von Paulus im 12. Kapitel des Römerbriefs. Übrigens: Auch die Präambel der schweizerischen Bundesverfassung weist auch über sich selber und über die Staatsräson hinaus.

Ein Gespräch über Grundwerte mit Omri Boehm ist zu hören unter diesem Link zu SRF

Glaube.Klima.Hoffnung

Konferenz am 6. April in Biel-Bienne

Die 15. StopArmut Konferenz bietet einen faszinierenden Einblick in die Ergebnisse unserer Ge-Na-Studie und verspricht spannende Erkenntnisse für deinen Alltag und deine Kirchgemeinde.

Was denken Christ:innen in der Schweiz zu sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit? Rund 2‘500 Menschen haben zu dieser Frage an unserer Ge-Na-Studie teilgenommen. Im festlichen Rahmen des 20-Jahre-Jubiläums von StopArmut laden wir dich herzlich ein, an diesem bedeutenden Ereignis teilzunehmen und mit uns zu diskutieren, wie Glaube, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zusammenhängen. Nebst kreativen musikalischen Beiträgen freuen wir uns speziell auch auf vielseitige Impulse und spannende Reaktionen aus Kirche und Gesellschaft.

Infos und Anmeldung hier