Europäisches Friedensnetzwerk Church and Peace warnt vor Ausweitung des EU-Instruments für Stabilität und Sicherheit auf militärische Unterstützung von Drittstaaten

„Der Vorschlag der EU-Kommission, das Instrument für Stabilität und Frieden um das Ziel der Stärkung militärischer Kapazitäten in Drittländern zu erweitern, darf nicht umgesetzt werden“, so der Vorstand des Netzwerks Church and Peace.
„Angesichts der Fülle von Aufgaben im Bereich ziviler Friedensarbeit ist der Vorschlag der EU-Kommission inakzeptabel, aus einem politisch mühsam errungenen und sehr begrenzten zivilen Budget in Zukunft militärische Ertüchtigung zu finanzieren. Die 100 Millionen EUR, die die Europäische Kommission in den nächsten vier Jahren dafür ausgeben will, sollen zudem höchstwahrscheinlich aus dem Entwicklungsinstrument (DCI) entnommen werden“, stellt Antje Heider-Rottwilm, Vorsitzende von Church and Peace, fest.
„Dieser Vorschlag ist so allgemein und allumfassend formuliert, dass er nicht dazu geeignet ist, Instabilität, Konflikte und andere Fluchtursachen zu bekämpfen, sondern er hat im Gegenteil das Potential, geächtete Regimes und ihre Armeen und Milizen zu stärken“, warnt Church and Peace. „Außerdem ist die Erweiterung des Stabilitätsinstruments eine Hintertür für den Einstieg in einen EU-Verteidigungshaushalt.“
Zwar sind laut Kommission Munition und Waffen ausgeschlossen, doch sind die Leistungen dermaßen weit gefasst, dass die EU damit zum Exporteur von Militärgütern und Dienstleistungen, z.B. für den Bau von Militärbasen, die Bereitstellung von Kommunikationssystemen und aktuellen Lagebildern werden würde – Maßnahmen, die ebenso kriegsentscheidend sind wie tödliche Waffen.
„Diese Politik ist ganz im Geiste dessen, was die deutsche Verteidigungsministerin seit Jahren unter nationaler militärischer Ertüchtigungsinitiative vorantreibt. Wir sind entsetzt darüber, dass sich dieser Ansatz nun auch in der Globalen Strategie der EU wiederfindet, die die Außenbeauftragte Mogherini Ende Juni 2016 vorgelegt hat. Wir kritisieren die darin enthaltene Idee, dass Entwicklungspolitik flexibler werden müsse und an unsere strategischen Prioritäten anzupassen sei (s. Pressemeldung von Church and Peace zur Globalen Strategie der EU vom 1.7.2016).
Wir warnen eindrücklich vor einem solch tiefgreifenden Paradigmenwechsel. Dieser Vorschlag ist ein weiterer Schritt dahin, dass Gelder für Friedensarbeit und Entwicklungshilfe zunehmend für andere Zielsetzungen wie den Aufbau militärischer Fähigkeiten oder Migrationskontrolle instrumentalisiert werden. Eine Außenpolitik, die von good governance, sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung redet, wird dadurch unglaubwürdig und die militärische Abschreckung von Flüchtlingen ersetzt die Bekämpfung der Ursachen von bewaffneten Konflikten.“
Hintergrund:
Das Instrument für Stabilität und Frieden (IcSP) wurde 2007 und 2014 deswegen geschaffen bzw. überarbeitet, weil der EU ein Instrument fehlte, welches die Lücke zwischen Sicherheits- und Entwicklungspolitik mit einem zivilen Ansatz zu füllen vermochte. Es basiert rechtlich auf den Artikeln des Lissabon-Vertrags zur Entwicklungshilfe (Art. 209 VFEU) und technischen Zusammenarbeit (Art. 2012 VFEU), d.h. alle Maßnahmen müssen Entwicklungsziele verfolgen. Das Budget von 2,3 Mrd. EUR für 2014-2018 dient sowohl dafür, die EU-Politik in den Bereichen schnelle Krisenreaktion mit zivilen Mitteln, insbesondere Unterstützung humanitärer Maßnahmen zu stärken, wie für Zivile Konfliktverhütung und Friedenskonsolidierung durch Unterstützung der UN und Kapazitätsbildung zivilgesellschaftlicher Initiativen, darunter insbesondere Mediation, Dialog und Unterstützung von Aussöhnungsprozessen. Des weiteren auch für die Vorbereitung von Polizisten auf internationale Polizeimissionen oder die Demobilisierung und Reintegration ehemaliger Kämpfer, auch Kindersoldaten. IcSP ist das einzige Haushaltsinstrument für zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung. Eine Ausweitung auf militärische Zielsetzungen ist laut Einschätzung diverser EU-Rechtsdienste illegal; es zerstört zudem den besonderen zivilen Charakter und droht, ihn zu dominieren bzw. auszulöschen.

 

www.church-and-peace.org. Siehe auch die Pressemitteilungen von Brot für die Welt und der AGDF

Friedensarbeit in Palästina – Ein Modell auch für uns?

Referat und Gespräch mit Sumaya Farhat-Naser Friedensaktivistin, Birzeit, Palästina

Montag, 7. November | 19:00 Farelhaus, grosser Saal | Ob. Quai 12 | 2503 Biel

Eintritt frei, Kollekte
Es laden ein: Arbeitskreis für Zeitfragen | Runder Tisch der Religionen | Frauen für den Frieden Biel

Infos: barbara.heer@ref-bielbienne.ch

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Was Frieden schafft

Schafft Religion Frieden oder Gewalt?

 

Imagine there’s no heaven
It’s easy if you try
No hell below us
Above us only sky
Imagine all the people
Living for today…

Imagine there’s no countries
It isn’t hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion too
Imagine all the people
Living life in peace…

 

„Imagine there’s no heaven“ – Stell dir vor: keinen Himmel, nichts, für das man töten oder sterben würde, keine Religion, nur Leute, die fürs Heute, in Frieden zusammenleben.

Würde man heute eine Umfrage auf der Strasse machen, die meisten würden wohl in John Lennons Friedenshymne einstimmen. In Anlehnung an Sozialtheorien behaupten die Religionskritiker, jede Religion fördere Gewalt. Religion würde absolute Wahrheits- und Geltungsansprüche fördern, und wer felsenfest von etwas überzeugt sei, lebe nur schlecht mit Leuten zusammen, die ihre Überzeugung nicht teilten. Wer glaubt, dass seine Überzeugungen eigentlich von allen Menschen geteilt werden müssten, trage immer schon ein Samenkorn zur Gewalt in sich. Die Schlagzeilen in den Zeitungen scheinen ihnen recht zu geben: In unserer Zeit gibt es viel Gewalt, die mit religiösen Überzeugungen in Verbindung gebracht wird. Und das beschränkt sich keineswegs auf den Islam. Darum wird gefordert: Die Instrumente, die das Zusammenleben in einer Gesellschaft regeln, müssten ganz säkularisiert werden, nur so könnten wir eine Welt gestalten, in der Menschen mit einer Vielfalt von Meinungen friedlich nebeneinander leben könnten.

Man kann darauf antworten, dass die Bewegungen, die im 20. Jh. zu den grössten Massenvernichtungen geführt haben, der Stalinismus und der Nationalsozialismus, beides säkulare Bewegung waren. Das zeigt aber nur, dass absolute Wahrheitsansprüche sich nicht auf Religionen beschränken. Das Argument der Religionskritiker ist damit aber nicht entkräftet. Der Friedensforscher Markus A. Weingardt setzt diesen Thesen entgegen: „Religion [m]acht Frieden!“ In seinen Büchern „Religion Macht Frieden“ (leider vergriffen) und „Was Frieden schafft“ (liegt im Burgfeld auf) untersucht er, unter welchen Umständen Religion Frieden fördert und hilft, Konflikte zu bewältigen.

Er beschreibt etwa, wie die Evangelische Kirche in der DDR Trägerin einer friedlichen Revolution werden konnte; ihr Einfluss war wesentlich dafür verantwortlich, dass es in der DDR in den radikalen Veränderungen Ende der 1980er Jahren nicht zu Blutvergiessen und militärischer Gewalt kam. Er zählt Gründe auf, warum ihr das möglich war: eine demokratische Verfasstheit, eigenständige Ausbildungsstätten und Medien, Kontakte zu staatlichen Organen, „Offenheit für Andersgläubige und Andersdenkende sowie für verschiedenste Formen der Religiosität oder der Nicht-Religiosität, und nicht zuletzt die Tatsache, dass sich Kirchenleute in der Regel durch Mut und Aufrichtigkeit gegen die Ablehnung der gesellschaftlichen Mehrheit sowie gegen staatliche Repressionen behaupten mussten.“[1] Alles Haltungen, die zutiefst im Glauben der Kirche selbst begründet sind.

In den Massakern in Ruanda gingen katholische Christen auf andere katholische Christen los. Die Kirchenvertreter „spielten während des Mordens zumeist eine überaus unselige Rolle.“[2] Viele führende Kirchenvertreter waren mit dem herrschenden Hutu-Regime verflochten, ihnen fehlte die Distanz, um in die Dynamik des Genozids von Hutus an Tutsis einzuschreiten. Die muslimischen Gemeinschaften dagegen waren in Ruanda eine kleine Minderheit, die um die Gefahr von eskalierender Gewalt wusste. Die Imame hatten über Jahre hinweg unter Berufung auf den Koran dazu aufgefordert, sich von Gewalt fernzuhalten und keinen Hass zu schüren. Ihnen gelang es, „die Allgemeingültigkeit ethischer Werte wie Gleichheit, Menschlichkeit, Lebensrecht“ so zu vermitteln, dass viele Muslime sich den Massakern entgegenstellten, Bedrohten Schutz gewährten und im Konflikt deeskalierend wirken konnten. Sie waren nicht gefangen im Schema von zwei Volksgruppen, in dem sich je die einen durch die anderen bedroht fühlten. Sie liessen aufgrund ihres Glaubens die Hilfe Andersgläubigen zukommen, weil „nach dem Koran alle Menschen gleich seien, und der Koran den Schutz der Schwachen und Unterdrückten lehrt.“[3]

Warum aber lassen sich innerhalb derselben Religion die einen durch den Glauben zu Gewalt hinreissen und andere davon abhalten und dazu bringen, Andersgläubige zu schützen? Ist Religion einfach ambivalent und kann mal in die, mal in die andere Richtung ausschlagen? Wenn Religion den Frieden fördern würde, müsste sie ja fördern, dass Menschen Andersdenkende, Andersglaubende gerne in ihre Gemeinschaft aufnehmen, und zwar als Andersdenkende. Und das nicht, obwohl sie selbst gläubig sind, sondern weil sie gläubig sind. Sie müsste auch in ein Verhältnis zu den politischen Mächten führen, in dem die Glaubensgemeinschaft gleichzeitig für die Gesamtgesellschaft wichtig gesehen wird. Sie sollte Einfluss haben, ohne diesen Mächten zu verfallen.

 

Andreas Hasenclever zeigt auf, dass Religion im Vollsinn tatsächlich so wirkt. In seinem Referat „Zwischen Himmel und Hölle“[4] widerlegt er zunächst durch empirische Untersuchungen den untergeschobenen Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt. Wo Religion Gewaltfördernd wirkt, tritt sie meist in Kombination mit ethnischen oder nationalistischen Motiven auf. Und Konflikte, die auf diesen Motiven beruhen, sind nicht weniger brutal, wenn Religion keine Rolle spielt.

In Bezug auf Wolfhart Pannenberg zeigt er dann, dass Religionen sich immer in einem Spannungsfeld zwischen einer Wahrheit, die als unwandelbar gilt, und der veränderlichen Wirklichkeit bewegen müssen, in der diese Wahrheit formuliert und verkündet wird. Selbst wenn eine Religion sich auf eine für sie universelle Wahrheit bezieht, muss sie, sobald sie ins real gelebte Leben tritt, die Frage stellen, was diese Wahrheit jetzt in der wandelbaren Zeit bedeutet. Formulierte Wahrheit steht immer in Bezug zur Zeit, zu der sie spricht und muss darum laufend neu formuliert werden.

Die meisten Religionen haben komplexe Bezugssysteme, auf die sie die Verkündigung einer Heilszusage an eine bestimmte Zeit abstützen – die Christen etwa die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus, bezeugt durch die Schriften der Bibel; im Islam der Koran. Und Religionen enthalten wiederum Systeme, mit denen sie ausloten, inwieweit diese Bezugssysteme sowohl in der göttlich-ewigen Wirklichkeit als auch in der endlich-wandelbaren Zeit verankert sind. Ein Beispiel dafür ist der jahrhundertelange und eigentlich bis heute andauernde Streit in der Kirche, ob und wie Jesus Christus mit dem ungeschaffenen, Gott wesensgleichen Logos identifiziert werden kann, und wie er gleichzeitig ganz Mensch war, verwurzelt in und abhängig von seiner Zeit und Kultur.

Kurz: Es gibt keine Verkündigung einer Heilswahrheit in der Welt, ohne dass diese Wahrheit für die eigene Zeit interpretiert werden muss. Und immer wieder neu angepasst werden muss.

Wer an Gott glaubt, der mehr ist als das, was ich erfassen kann, der muss auch damit zurechtkommen, dass sich der eigene Glauben wandelt, obwohl Gott derselbe bleibt. Wer lebendig glaubt, lebt im Bewusstsein, wie vielfältig die Interpretation der einen Wahrheit sein kann und muss. Man kann den eigenen Glauben nicht absolut setzen, weil da immer ein Unterschied bleiben muss zwischen dem Glauben und dem Gott, an den man glaubt.

Das könnte ein Schlüssel sein, warum gerade Glaubende aus ihren Glauben heraus bereit sind, Andersglaubende in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Der Glaube an Gott fördert das Bewusstsein, dass meine Erkenntnis limitiert und relativ ist. Der Gott, den wir verkündigen, auf den unsere Kultur und Glaubensgemeinschaft verweist, bleibt immer auch transzendent zur Verkündigung und Glaubensgemeinschaft. Darum können die Grenzen der eigenen Überzeugungsgemeinschaft nie absolut gesetzt werden. Obwohl die eigene Überzeugung meistens eine Grenze zu andern setzt, können diese Grenzen für den Glaubenden nie so unverrückbar werden, dass sie Gewalt und absolute Ausgrenzung rechtfertigen könnten.

Wird dieser Transzendenzbezug des Glaubens aufgegeben, tritt die eigene Überzeugung oder die eigene Gemeinschaft an die Stelle Gottes. Das ist nicht mehr Religion im vollen Sinn. Hasenclever stellt die These auf, dass die „Radikalisierungsprozesse“ vor allem Isolationsprozesse sind.[5] Die bewusste Isolierung hat zur Folge, dass rudimentäre Kenntnisse der neu erworbenen Religion weder mit der langen Auslegungstradition noch mit der Vielfalt einer Glaubensgemeinschaft in Berührung gebracht werden. Nur in dieser doppelten Isolation können sich Überzeugungsgemeinschaften halten, welche die Welt in Schwarz-Weiss einteilen und die sich für den terroristischen Kampf gebrauchen lassen.

 

Wo Religion sich aber der Komplexität der Welt stellt und die Demut vor dem Gott bewahrt, an den sie glaubt, kann eine Gemeinschaft sich nicht selbst zum Idol erheben. Und da bewahrt sie sich auch das Potential, dem Gott zu dienen, der zum Heil aller in diese Welt kommt.

Jürg Bräker

 

Literatur:

Markus A. Weingardt, Religion Macht Frieden, Kohlhammer, 2007

Markus A. Weingardt, Was Frieden schafft. Religiöse Friedensarbeit, Gütersloh 2014.

Fernando Enns, Wolfram Weiße (Hrsg.), Gewaltfreiheit und Gewalt in den Religionen. Politische und theologische Herausforderungen, Waxmann 2016.

[1] Markus A. Weingardt, Religion Macht Frieden, Kohlhammer 2007, 83.

[2] Weingardt, 311.

[3] Weingardt, 315.

[4] Andreas Hasenclever, Zwischen Himmel und Hölle, in: Fernando Enns, Wolfram Weiße (Hrsg.), Gewaltfreiheit und Gewalt in den Religionen. Politische und theologische Herausforderungen, Waxmann 2016, 53-71. In Konflikten mit mehr als 200’000 Toten gab es seit 1956 keinen Konflikt, der allein auf religiösen Differenzen beruhte. Unter den schlimmsten mit mehr als 1 Mio Toten spielten religiöse Elemente manchmal eine Rolle, manchmal gab es keinen religiösen Bezug. Auch zeigen Studien, dass die Wahrscheinlichkeit und Intensität von Gewaltkonflikten in der islamischen Welt nicht höher ist als säkularen oder anders religiös geprägten Welten.

[5] Vgl. Hasenclever, 64f.

Gewaltfreiheit wirkt! 55 Erfolge für die Gewaltfreiheit

Zusammen mit befreundeten Organisationen hat Church and Peace eine kleine Broschüre herausgegeben, die 55 Erfolgsgeschichten der Gewaltfreiheit aufführt. Gerade in Diskussionen wird man oft nach Alternativen zu militärischem Eingreifen gefragt.

In der Broschüre sind Beispiele für gelungene und nachhaltige Veränderungen ohne Gewalt aufgeführt – sei es Regiemewechsel oder Eintreten für Menschenrechte oder Umweltschutz.

Bestellung über die Church and Peace Geschäftsstelle
oder Anhang
oder Download über http://bit.ly/294DT62

Der Friedhof der Unbekannten

„Wir sind an einem sonderbaren Ort. An der Hauptstrasse sind wir in einen unscheinbaren Feldweg eingebogen und stehen nun, inmitten alter Olivenbäume, vor einem verrosteten Tor. Hier soll er sein, der Friedhof der unbekannten? Das Tor lässt sich ohne Mühe öffnen. Mit unbestimmtem Gefühl betreten wir das Gelände. Der Feldweg führt durch verdorrte Sträucher und Disteln weiter. Neben dem Weg liegen verbrannte Äste aufgehäuft. Ein alter Wohnwagen ist vor einiger Zeit zwischen zwei uralten Olivenbäumen platziert worden. Neu scheint hier nichts zu sein, ausser den Erdhaufen, die auf der freien Fläche vor nicht allzu langer Zeit aufgeschüttet wurden. In gleichmässigen Abständen liegen sie da und man erkennt die form dessen, das sie bedecken. Auf weissen Marmorplatten steht das Wenige aufgeschrieben das man von den Toten wusste, etwa: ANTROZ AGNOSTOS, 23 ETON, MYTILINI 2.3.2016. Ein unbekannter Mann liegt hier begraben, er wurde geschätzte 23 Jahre alt. Die Leiche ist am 2. April 2016 in Mytilini gefunden worden. Das 7 jährige Mädchen im anderen Grab ist im November 2015 gestorben. Daneben liegt ein 26 Jähriger begraben, der offenbar seine Papiere auf sich trug und als Omar Mohamed (Namen geändert) identifiziert werden konnte.

Anders als bei einem gewöhnlichen Friedhof gleichen sich die Geschichten derer, die hier begraben liegen. Aus dem was uns auf dieser Insel erzählt wurden, können wir uns die Geschichte von Omar Mohamed ausmalen. Er ist möglicherweise aus Syrien geflohen, weil in Aleppo die Bomben fielen und die Schiessereien auch nachts nicht aufhören wollten. In der Türkeit arbeitete er 12 Stunden am Tag zur Hälfte des regulären Lohnes, bis er die teure Überfahrt nach Europa bezahlen konnte. Der Schlepper fragte ob jemand aus der Gruppe wisse wie ein Bootsmotor zu bedienen sei. Mohamed Omar wusste es ebenso wenig wie die Anderen , hielt aber nach kurzer Diskussion das Steuer in der hand. Einfach gerade aus fahren, hörte er noch sagen. Nach einer halben Stunde machte der Motor komische Geräusche.

Die Leiche von Mohamed Omar wurde nach zwei Tagen von freiwilligen Helfern in Lesbos geborgen. Nach muslimischer Tradition wurde sie in weisse Tücher gewickelt. Einige Helfer huben eine Grube aus und legten den Toten mit den Füssen Richtug Mekka in sein Grab.

Auf dem Friedhof der Unbekannten sind dies die Geschichten, die wir zwischen Disteln und verrosteten Blechdosen schreien hören. Und es sind ähnliche Geschichten, die verzweifelt und stumm vergessen bleiben.“

Die MJKS (mennonitische Jugendkomission) organisierte zusammen mit dem TFFG und CPT (christian peacemaker teams) ein Camp für junge Erwachsene auf Lesvos. Vor Ort begegnete die Gruppe der Flüchtlingskrise in verschiedenen Arbeitseinsätzen un Exkursionen. Bei der Mithilfe im alternativen Flüchtlingscamp PIKPA, bei einem Schwimmunterricht für Flüchtlingskinder („Versöhnung mit dem Meer“) oder dabei, ein Spendenlager aufzuräumen. Für die Gruppe beeindruckend waren auch die Nachtwachen zusammen mit einer Gruppe spanischer Feuerwehrleute, bei welchen wir am Strand nach Booten Ausschau hielten. Bei diesen Einsätzen  lag der Fokus darauf, durch Begegnungen ein tieferes Verständnis für die Situation der Flüchtlinge auf Lesvos zu erhalten. 

 

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