Stichwort Pazifismus

Bald ist ein Jahr vergangen seit dem Grossangriff der russischen Armee auf die Ukraine. Die Themen Pazifismus und Widerstand haben an Bedeutung gewonnen und die Auseinandersetzung damit ist wichtig und hilfreich. Über die Links unten auf die Website menno.ch kannst du folgende Artikel und Gespräche lesen:

Wie funktioniert gewaltfreier Widerstand? von Benjamin Isaak-Krauß

«Pazifismus soll unser Lebensstil sein» Interview mit César García, Generalsekretär der Mennonitischen Weltkonferenz (MWK)

Kraft, Mut und Vorstellungsvermögen!

Zum Jahreswechsel 2022-2023Hansuli Gerber

Schlechte und überwältigend bedrohliche Nachrichten prägen das auslaufende Jahr 2022. Die Bach-Kantate zum Sonntag nach Weihnachten spricht mir aus dem Herzen: „Gottlob! Nun geht das Jahr zu Ende, das neue rücket schon heran“. – Was wird es wohl bringen?

DIe katastrophalen Ereignisse im vergangenen Jahr ziehen bereits ihre Spuren, die über die gegenwärtigen Generationen hinaus gehen werden. Gewiss, Katastrophen und Zerstörung gibt es seit Menschengedenken. Doch fühlt sich die gegenwärtige Lage nicht irgendwie eigenartig an mit ihren vielfachen, sich überlappenden und einander verstärkenden Krisen? Am Roten Telefon, welches die Wochenzeitung Die Zeit eingerichtet hat, sagte eine Frau: “Die kalte Wohnung halte ich aus. Schlimmer ist die soziale Kälte”.

Du hast hoffentlich eine schön warme Wohnung, wie ich. Dennoch geht es dir vielleicht ähnlich wie dieser Frau? Hast du dich im Lauf des Jahres gelegentlich auch gefragt: welche neue Schreckensnachricht wird uns als nächstes wohl erreichen? Vielleicht fühlst du dich auch gelegentlich wie schwankend zwischen Endzeitstimmung und Zukunftsmut? Hast du dich auch schon gefragt, ob sich der Eurozentrismus, auf welchem unser Wohlstand ein gutes Stück weit auf Kosten anderer Bevölkerungen und der Natur aufgebaut ist, jetzt zu rächen beginnt? Und dann: Was können wir, was kann ich jetzt tun?

Wir werden uns rasch einig sein, dass dringend es Freundlichkeit braucht, Zuneigung, die Wärme verbreitet und Nachsicht, die befreit. Eine andere Frage stellt sich: Braucht es jetzt radikale prophetische Handlungen wie zum Beispiel diejenigen der Extinction Rebellion, oder eher bewusst ruhige Konzentration auf einen unerschütterlichen Ablauf des gewohnten Alltags mit seinen Routinen? Für beide diese Arten von Umgang gibt es sowohl stichhaltige Argumente wie auch historische, biblische und aktuelle Beispiele.

Ich finde beides notwendig, unbequemes prophetisches Handeln und ruhige Gelassenheit, welche auf die kleinen Dinge des Lebens Acht gibt. Ich will beides respektieren und auch fördern. Es ist mir wichtig, mit Menschen aus den oft radikalen Protestbewegungen (Klima, Krieg, Unterdrückung) in Tuchfühlung zu bleiben und Solidarität zu üben, und gleichzeitig so zu leben, wie Martin Luther es angesichts des morgigen Weltuntergangs empfahl: heute einen Apfelbaum pflanzen. Wir können nicht leben, als ginge alles so weiter. Zu viele Menschen sind willkürlichem Herrschaftswahn mit seinen entmenschlichenden Folgen unterworfen, fast überall auf der Welt.

Das Täufertum entstand in der radikalen Reformation. Radikalität ist nicht gleich Verzweiflung, im Gegenteil. MystikerInnen aller Zeiten haben radikal gelebt und gehandelt, weil sie sich nicht mit oberflächlichen Antworten zufrieden gaben und weil sie einfachen und raschen Lösungen misstrauten. Sie kannten den Rand des Abgrunds der Verzweiflung. Sie eckten oft an, wurden häufig nicht oder missverstanden. Nicht selten wurden sie gewaltsam verfolgt.

Es gibt keine Patentlösung für unsere Dilemmas angesichts der gegenwärtigen vielfachen und tiefgreifenden Krisen. Doch ich glaube fest, dass Menschen, die sich für radikale Menschlichkeit einsetzen und sich gewaltlos der Unmenschlichkeit widersetzen, unserer Welt gut tun. Ohne solche Menschen wären wir weit schlimmer dran. Das geht nicht ohne Vorstellungsvermögen, Phantasie und Kreativität. In christlichen Kreisen wird mit Nachdruck auf Stetigkeit von Glauben und Liebe hingewiesen – zurecht. Weit weniger im Blick jedoch ist das Vorstellungsvermögen, die spielerische Phantasie und Kreativität. Wir wissen heute, dass in der Friedensarbeit und im zivilen gewaltlosen Widerstand ohne diese Qualitäten wenig auszurichten ist.

Ich muss mich auch fragen, was ich mich solchen Widerstand kosten lassen will. – Wohlwissend, dass Widerstand eigentlich nur im Kollektiv sinnvoll und wirksam ist. Ich habe grössten Respekt für Menschen, die ausserordentliches wagen für ihr Zeugnis der Hoffnung auf Liebe und Gerechtigkeit und ihren Widerstand gegen Gier und Gewalt, gegen den Fatalismus des Wachstumswahns, des Techno-Kapitalismus, des Kriegsglaubens und des ganz einfachen und ach so harmlos daherkommenden Status Quo.

Nochmals zur Kantate zum Jahreswechsel (BWV 28). Der Philosoph Markus Gabriel sagte dazu: “Es geht hier um die Schönheit, um das Gute und um Gott.” Nichts davon haben wir im Griff. Doch wir können uns der Schönheit aussetzen und öffnen, das Gute suchen und tun, und unser Vertrauen in Gott (den niemand je gesehen hat) setzen. Zu Weihnachten, wo die Christen die Menschwerdung Gottes in einem schwachen Kind erkennen, und für das neue, noch unbekannte Jahr, wünsche ich uns allen Mut, Kraft, und Vorstellungsvermögen. Wir werden sie brauchen in unserer so geliebten und so verdorbenen Welt. – Glauben wir eigentlich, dass sie mehr geliebt als verdorben ist?

TFFG – Rückblick und Ausblick

Hier ein paar Eckpunkte zum vergangnen Jahr wie auch ein Ausblick in 2023:

  • Rund 50 Personen besuchten die Tagung „Welcher Pazifismus?“ in Biel am 19. November 2022. Ein „Versuchsballon“ Ende April in Biel mit rund 30 Personen hatte uns ermutigt, eine ganztägige Tagung zum Thema abzuhalten. Die Stimmen am Schluss sind sich einig, dass es sich gelohnt hat, dass es anregend und hilfreich war, und dass wir dran bleiben wollen. Das Referat von Ramazan Özgü zum Thema Polarisierung findet sich auf dieser Website. Weitere Beiträge werden demnächst erscheinen. Die Unterlagen zum Thema Widerstand sind auf Anfrage erhältlich, das Ganze ist ein weites Thema und noch in Arbeit.
  • Für 2023 planen wir eine Folgetagung zu derjenigen im vergagenen Jahr. Ein erstes Treffen am 22. Februar wird einige Weichen stellen. Unsere Idee ist, übers Jahre einige Online-Treffen abzuhalten und eine Tagung am 18. November. -> Datum vormerken!
  • Simon Rindlisbacher wird uns in der Kommunikation für die Tagung unterstützen und Eliane Gerber wird einsteigen bei der Betreuung der Website.
  • Charles-André Broglie (Kassier) und Martha Gerber (Imbiss) ziehen sich aus der aktiven Mitarbeit zurück. Wir danken ihnen herzlich für ihre guten Dienste und die schöne Zusammenarbeit!

Polarisierung: Gefahr für den Frieden

Referat von Ramazan Özgü, gehalten an der Tagung „Welcher Pazifismus heute?“ am 19. November 2022.

Unter Polarisierung im politischen wie gesellschaftlichen Sinne wird der Prozess der gesellschaftlichen Differenzierung und Fragmentierung verstanden. In diesem Kontext fallen insbesondere zwei Formen der Polarisierung ins Auge: die themen- und die gruppenbezogene Polarisierung. Ich werde in meinem Beitrag versuchen, beide Punkte aufzugreifen und dabei exemplarisch vorzugehen:

Zunächst einmal mit einem Todesfall aus Frankreich, der während der Pandemie für Furore gesorgt hat. Im Herbst 2020 steigen zwei Männer in den Bus ein, den Philippe Monguillot fährt. Beide treten bedrohlich und leicht reizbar auf. Sie haben zudem kein Billet. Es gibt eine kurze Diskussion, Schimpfworte fallen, aber Philippe Monguillot bleibt trotzdem ruhig und zeigt den beiden, wie sie am Automaten ein Ticket lösen können. Scheinbar beruhigt sich die Lage, nachdem diese den Bus verlassen haben.

Vier Stunden später steigen die beiden Männer erneut in den Bus, diesmal ist ein weiterer Freund mit einem Kampfhund mit von Partie. Sie nehmen hinten Platz, betrinken sich, beschimpfen und provozieren den Chauffeur. Als an der Station Balichon ein vierter Kollege des Trios zusteigt, eskaliert die Situation. Philippe Monguillot steigt aus, geht nach hinten und weist die Männer darauf hin, dass sie ohne Masken und ohne Billett aussteigen müssten. Es kommt zu einer Rauferei, die mit dem Tod des Busfahrers endet. Abgesehen von Rücksichtslosigkeit, Geringschätzung des Lebens und Lust an der Gewalt ist zu jenem Zeitpunkt kein Tatmotiv erkennbar. An einer Pressekonferenz erklärte Staatsanwalt Marc Mariée am 7. Juli, der Chauffeur sei beschimpft und angegriffen worden, als er die Tickets kontrollieren wollte und an die Maskenpflicht erinnert habe. Wie bei vielen anderen Verbrechen versuchen Politiker:innen und Medien, aus der Tat Kapital zu schlagen. Alle lesen aus dem Verfall heraus, was ihnen gerade passt. Rassemblement national führt den Tod von Philippe Monguillot einzig auf die Migration zurück, einige verbreiten falsche arabische Täternamen und stellen das Foto eines Mannes mit maghrebinischen Wurzeln ins Netz, welcher mit dem Fall keine Berührungspunkte hatte. Etliche Medien fokussieren sich dabei auf die Triggerworte «Maske» und «Maskenpflicht». Jene Worte, die in diesem Sommer fast überall auf der Welt polarisiert und hohe Einschaltquoten garantiert. Es habe sich in Frankreich ein tödlicher Streit «um Masken» und «Masken-Regeln» zugetragen: «Weil er seine Fahrgäste aufforderte, Masken zu tragen, prügelten sie auf ihn ein», behauptet der «Spiegel». «Streit über Maskenpflicht endet mit Hirntod», titelt der «Deutschlandfunk». Die fehlenden Tickets werden in den meisten Berichten nur en passant erwähnt, und über die vorhergehenden Beschimpfungen der Täter erfährt man kaum etwas, die als «Maskenverweigerer» oder «Masken-Gegner» bezeichnet werden.

Meinungsverschiedenheiten sind wichtig für eine lebendige Demokratie, doch wenn sich zwei Lager unversöhnlich gegenüberstehen, wird es schwer, Debatten zu führen und Kompromisse zu finden. Die themenbezogene Polarisierung war während der Pandemie omnipräsent, was die mediale Wahrnehmung auch stark beeinflusst hat. Beispielsweise liessen sich viele Menschen bei der Frage nach der Authentizität von genannten Nachrichten von gängigen Stereotypen und Vorurteilen leiten, die sie in ihren Köpfen gespeichert haben, was die Spaltung der Gesellschaft beschleunigt und polarisiert.  
 
Vorurteile, Stereotypen, die allgegenwärtig sind – eventuell auch harmlos wirken – können in bestimmten Situationen auch verheerende Folgen haben. Ein Beispiel wäre das klar antisemitische Vorurteil, Juden seien reich. Für viele mag das in Anführungs- und Schlusszeichen ein “positives” Vorurteil sein, jedoch bekräftigt dies das angebliche Weltjudentum, wonach Juden die Welt regieren würden. Mit anderen Worten: Wer an das Stereotyp “Juden sind reich” glaubt, wird auch im Weltjudentum irgendwann Gefallen finden. Vor allem während der Krisenzeiten.  
 
Während der Pandemie haben beispielsweise judenfeindliche Verschwörungs-Erzählungen an Zulauf gewonnen, was vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund bestätigt wird. So hat Anfang 2021 die Partei National Orientierter Schweiz (PNOS), die in der Zwischenzeit aufgelöst wurde, die Protokolle der Weisen von Zion in ihrem Parteimagazin veröffentlicht, ein judenfeindliches Dokument, dessen Falschheit vor Jahrzehnten nachgewiesen wurde. Zudem war die Devise eines Teilnehmers an einer Anti-Corona-Massnahmen-Demonstration in Zürich, die Rothschilds würden hinter den Covid-Massnahmen stecken. Unsere Erfahrung aus der Geschichte macht deutlich, wohin das letzten Endes führen kann. 
 
Zu Recht bezeichnet der Genozidforscher Gregory Stanton Polarisierung als Teil eines systematischen Völkermordes. Laut Stanton gilt sie als fünfte Stufe des Genozids. In dieser Stufe wird polarisierende Propaganda durch Hassgruppen ausgestrahlt. Segregation erhält Struktur, wie beispielsweise durch Gesetze und Restriktionen, die Mischehen verbieten oder die soziale Interaktion erschweren. Um die Polarisierung weiterhin zu schüren, werden moderate Meinungen, die als Brückerbauer:innen fungieren könnten, eingeschüchtert, verhaftet oder ermordet. Laut Stanton bleibt zwischen den Stufen Polarisierung und Vernichtung nur noch die organisatorische Frage übrig. Den Begriff Vernichtung “Extermination” wählt Stanton bewusst, da die Völkermord-Verbrecher:innen nicht glauben, dass ihre Opfer vollwertige Menschen sind. Denn vor der radikalen Polarisierung beginnt die Leugnung der Menschlichkeit der anderen Gruppe. Mitglieder dieser Gruppe werden mit Tieren, Insekten oder Krankheiten gleichgesetzt. Die Entmenschlichung überwindet die normale menschliche Hemmung vor dem Morden. Während dieser Stufe wird die Opfergruppe durch Hasspropaganda in den Medien herabgewürdigt. Nun, was könnte in dieser Stufe gemacht werden, um den Frieden zu wahren: Um gegen die Entmenschlichung vorzugehen, sollte man Anstiftung zu Völkermord nicht mit freier Rede verwechseln und diese dementsprechend strafrechtlich ahnden. Lokale und internationale Multiplikator:innen sollten Hassreden verurteilen und sie für kulturell inakzeptabel erklären. Führende Stimmen, die zu Völkermord aufrufen, sollten internationale Einreiseverbote bekommen und ihre ausländischen Konten eingefroren werden.
 
Welchen Einfluss die Dehumanisierung auf die gesellschaftliche Differenzierung ausüben kann, möchte ich anhand eines Beispiels aus der Türkei aufzeigen. Nach dem Korruptionsskandal in 2013 schürte Erdogan ein Feindbild gegen Menschen, die sich mit der Hizmet-Bewegung sympathisieren. In seinen öffentlichen Auftritten bezeichnete er diese: Achtung Trigger-Alarm: 
 
“Virus, Tumor, Blutegel, Verräter, verräterisches Netzwerk, Bande, verzaubert, wir werden ihre Höhlen betreten, stinkender, fauler, verzweifelte, Ich bezweifle ihren Glauben, Lügner, Hohlheit, Schachfiguren, Blutsauger, Blutfresser, Ketzer, sie gründen Parallelreligion, Sklaven von Israel, CIA-Agenten, Vampire usw.” 
 
In den staatlich gelenkten Medien hat man Hizmet-Sympathisant:innen nur noch mit diesen entmenschlichenden Schimpfbezeichnungen genannt. Folge: Das Feindbild festigte sich dermassen in den Köpfen von Menschen, sodass Folter, Vergewaltigungen, Pogrome, willkürliche Verhaftungen von Hizmet-Sympathisant:innen als legitim betrachtet wurden. 
 
Ein weiteres Beispiel lässt sich jüngst in Iran beobachten. Um verstehen, wie es dazu kam, bedarf es einer kurzen Geschichtskunde:  
 
Die Freiheit, selbst über das Kopftuch bestimmen zu dürfen, entzog bereits der Schah Reza Pahlevi den Iranerinnen. Er wollte sein Reich nach dem türkischen Vorbild modernisieren. Islamische Kleidung wurde als ein Symbol, das der Modernisierung widerspricht, betrachtet. Der autoritäre Schah verbot 1936 das Kopftuch. Für viele Iraner:innen war das ein Angriff auf ihre Werte. Als 1941 der Schah abdankte, bedeckte ein Teil der Iranerinnen seine Haare demonstrativ wieder. Das Kopftuch war auch ein Symbol des Widerstands. Der Nachfolger verfolgte zwar weiter einen Kurs der westlichen Modernisierung, doch das Verbot des Kopftuchs verschwand. Die iranische Gesellschaft begann sich jedoch zu spalten: Eine Oberschicht orientierte sich an Europa und lebte in Wohlstand, während das Leben für eine breite Bevölkerung hart blieb. Das Kopftuch wurde somit zum Statussymbol. Vorsichtig könnte man zum Ausdruck bringen: Das Proletariat trägt Kopftuch. 
 
Die Unterstützer:innen der islamischen Revolution in 1979 gehörten allen Gesellschaftsschichten an. Die Frauen, die massgeblich am Umsturz beteiligt waren, hatten genug vom brutalen Schach-Regime, vom Leben in Armut, vom Einfluss des Auslands. Die Iranerinnen vereinte die Ablehnung des Schah-Regimes, ihre Ideen für das Leben danach konnten aber kaum unterschiedlicher sein. Das zeigte sich besonders deutlich am Kopftuch. Für Konservative war der Hijab ein Symbol der islamischen Revolution. Er ermöglichte vielen Iranerinnen aus traditionellen Kreisen, stärker am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und sich weiterzubilden. Für viele andere wurde das Stück Stoff zum Symbol der Unterdrückung. Sie freuten sich darauf, am 8. März 1979 den internationalen Frauentag zu feiern, doch stattdessen hörten sie Khomeiny in einer Rede sagen, Frauen müssten nun ein Kopftuch tragen. 
 
Die Proteste waren so gross, dass das neue Regime vorübergehend davon absah, auf dem Zwang zum Hijab zu beharren. Doch bereits im Juli 1980 wies Khomeiny Ministerien an, darauf zu achten, dass sich Frauen islamisch kleideten. Schrittweise verbot die Regierung unverschleierten Iranerinnen den Zugang zur Gesellschaft, Proteste dagegen wurden niedergeschlagen. Ab dem Sommer 1981 wurde die Verschleierung auf der Strasse mithilfe der Revolutionswächter und der Sittenpolizei durchgesetzt. Seit 1983 ist es für alle Frauen und Mädchen ab neun Jahren obligatorisch, einen Hijab zu tragen.
 
Bis heute kämpfen Iranerinnen gegen ihre Unterdrückung und dafür, frei entscheiden zu können, wie sie sich kleiden. Die Frage, ob sie ihre Haare in der Öffentlichkeit zeigen dürfen, steht für viele im Mittelpunkt dieses Kampfes. Der Hijab ist für sie sinnbildlich für all das Unrecht, das sie seit Jahrzehnten erleben.
 
Seit Mitte September nun gehen wieder Tausende von Iraner:innen auf die Strassen – es sind die heftigsten Proteste seit mehreren Jahren. Ausgelöst hat sie die 22-jährige Mahsa Amini, die von der Religions- und Sittenpolizei in Teheran so schwer misshandelt wurde, dass sie drei Tage später in einem Spital starb. Ihr Vergehen: Sie war nicht korrekt islamisch gekleidet.
 
Hier kann man Parallelen zur Türkei ziehen. Bei der Machtübernahme von Erdogan spielte das Kopftuchverbot an den Universitäten eine wichtige Rolle. In den 90er Jahren war es Frauen verwehrt, mit Kopftuch öffentlich-rechtliche Institutionen zu betreten und zu studieren. Studierende mit Kopftuch mussten Hörsäle verlassen. Viele religiös geprägte Frauen haben heute genau aus diesem Grund Angst vor einem Regierungswechsel. In vielen öffentlichen Auftritten schürt Erdogan weiterhin diese Angst. Mit der Wortwahl “meine Kopftuch tragenden Schwester” suggeriert er, dass er als älterer Bruder dafür sorgen werde, sie zu beschützen. Dabei handelt es sich um eine reine Angstmacherei, da die Opposition sich längst für die Versöhnung mit damaligen Opfern eingesetzt hat. 
 
Kopftuchpflicht wie auch Kopftuchverbot gehen von patriarchalen Überlegungen aus, wonach Männer Frauen zu beschützen haben. Auch gegen ihren Willen. Die Kopftuchdebatte polarisiert die Gesellschaft, wie wir heute sehen. Täglich werden Menschen brutal ermordet, weil sie Freiheit fordern. Ich möchte die Gelegenheit hier nutzen, um zum Ausdruck bringen, dass ich mich mit all diesen mutigen Demonstrant:innen solidarisiere: Frau, Leben, Freiheit.
 
Nun, was hilft gegen Polarisierung? Der US-Amerikanische Philosoph Jay Garfield schreibt in seinem Essay “Polarisierung zerstört unsere Demokratie” folgendes:  “Ohne einen stabilen öffentlichen Raum für Diskussionen können wir in der Demokratie keine Probleme lösen.“ Sein Appell für Respekt und den aufrichtigen Dialog mit Andersdenkenden kann auch für uns nützlich sein. Der Dialog, welcher mit Respekt fundiert wird, schafft eine gemeinsame Basis zur Überwindung von Polarisierungen. Hier bedarf es moderate Menschen, die in jeglicher Situation nicht müde werden, Brücken zu bauen.
 
Das Fehlen von moderaten Stimmen in der Funktion der Brückenbauer:innen oder noch schlimmer „das Schweigen der Mitte“ genannt, wie das Buch von Ulrike Ackermann betitelt wurde, treibt die Polarisierung auf die Spitze. Die Menschheitsgeschichte zeigt, dass dies verheerende Folgen haben kann. 
 

Bildungstag Kommunikation

Ursprünglich war er am 22. Oktober geplant. Nun findet er am 11. Februar statt: Der Bildungstag Kommunikation den die Konferenz der Mennoniten der Schweiz gemeinsam mit dem Bildungszentrum Bienenberg organisiert. Er dauert von 9.00 bis 17.00 und findet auf dem Bienenberg bei Liestal statt.

Das Programm richtet sich an Menschen aus Kirchen und kirchlichen Werken, die dort ehrenamtlich oder beruflich mit Kommunikation zu tun haben. Also beispielsweise für die Gemeindezeitung verantwortlich sind, jede Woche den Newsletter schreiben und versenden, die Website des Werkes pflegen oder für die Mitteilungen im Gottesdienstverantwortlich sind. Der Tag soll konkrete Ideen, Inspirationen und Werkzeuge für diese Aufgaben liefern.
Wäre das nicht etwas für euch oder für jemand anderes aus euren Gemeinden oder Kommissionen?

Auf dem Programm stehen …

  • Referate, die eine Prise Kommunikationstheorie vermitteln, zum Beispiel von Evelyne Baumberger vom RefLab,
  • Workshops, die dir praktische Instrumente für deine Aufgabe an die Hand geben, zum Beispiel mit Markus Siegenthaler von der Kommunikationsagentur Basel West,
  • ein World Café bei dem wir gemeinsam Lösungen für deine Kommunikationsherausforderungen skizzieren.
  • viel Zeit, um einander kennenzulernen. 

Für alle, die sich in einer Gemeinde oder einem Werk der KMS engagieren, kostet der Tag 70 statt 120 Franken. 

Wer ist dabei? Meldet euch jetzt an via de.bienenberg.ch/events/kommunikation-bildungstag2023